Von der Liebe verschlungen
Berührung als an Keens unbedeutendem Gewicht, dass ich an Ort und Stelle blieb.
Bei all meinen Plänen von Rache und dem endgültigen Triumph war mir irgendwie nie klar gewesen, dass ich dabei auch entweder über Wasser oder durch die Luft reisen musste, um von Sangland nach Moskovia zu gelangen. Wie viel einfacher wäre die Reise in einem sorgsam verschlossenen Koffer gewesen! Zumindest hätte ich dann nicht all diese Ängste ertragen und meine Schwächen hier vor aller Welt offenlegen müssen. Ich drehte den Kopf zur Seite und wischte eine rötliche Träne weg, bevor jemand sie sehen konnte. Wenigstens hatte Reve mir Handschuhe in einem tiefen Rostbraun gegeben, die praktischerweise sowohl meine Tränen als auch die Blutflecken von meinem nächtlichen Imbiss verbargen.
Der Aufstieg zum Luftschiff dauerte Äonen. Zeitalter. Epochen. Die Drachen mochten inzwischen Sangland durchstreifen, als die Plattform endlich bebend zum Halten kam und ich das Geräusch von Metall hörte, das an Ort und Stelle einrastete, um sie am Deck des Luftschiffs festzumachen.
Keen sprang auf, und Casper half mir, aufzustehen. Die Plattform schwankte leicht, und ich klammerte mich mit weichen Knien an ihn.
»Meine Nichte hat Höhenangst«, sagte er zu jemandem, den ich nicht sehen konnte, da meine Augen immer noch fest geschlossen waren.
»Hier nennen wir das einen Fall von Schiss.«
Diese neue Stimme klang laut und herzhaft gut gelaunt. Ich sah auf und hätte mich beinahe über ihre Plateaustiefel übergeben. Ich konnte gerade noch verhindern, dass ich mich durch spritzendes Blut demaskierte und damit dafür sorgte, dass wir alle über Bord geworfen wurden. Es war nicht so, dass sie hässlich war – weit gefehlt. Die Frau war bereits jenseits ihrer Blütezeit, aber im besten Alter und hatte sich gut gehalten; üppig und vital, und ganz klar die Königin des Schiffes. Sie war eine Pinkie, doch sie war gekleidet mit der Vorliebe einer Bludfrau für nackte Haut – uns sie rauchte Pfeife. Sie war einfach schön – mehr als schön, wäre ich in irgendeiner Weise hungrig gewesen.
Das Problem bestand darin, dass wir von Wolken umgeben waren.
»Willkommen auf der Maybuck , Maestro.« Die Hand, die sie Casper entgegenstreckte, steckte in einem Spitzenhandschuh. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie es sind, obwohl ich in den Zeitungen von Ihren Heldentaten gelesen habe. Ich denke, Sie passen wirklich gut zu uns. Und willkommen auch Ihnen, Miss …?«
»Meine Nichte, Miss Anne Carol«, sagte Casper. »Die Tochter meines Bruders. Aus London.«
»Miss Carol.« Sie nickte mir zu. Ich lächelte, so gut ich konnte, den Mund geschlossen über Zähnen, die wegen meiner Beinahe-Übelkeit voller Blut waren. »Keine Sorge, mein Mädchen; Sie werden schon bald den richtigen Luftschiffgang lernen. Sieht so aus, als würde Ihr kleines Dienstmädchen sich schon ganz wohlfühlen hier. Hat die Kleine schon einen Beruf?«
Mit schmalen Augen begegnete sie Keens blendend hübschem Lächeln. Das Mädchen war ein Stück an einem Seil hochgeklettert und hing nun von dem Metallballon herab; ihr Haar flatterte im Wind, und ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Die Frau musterte Keens Körper von oben bis unten, als wolle sie ihre künftige Entwicklung abschätzen, und kaute nachdenklich auf ihrer Pfeife herum.
»Ich bringe ihr Cembalo bei«, antwortete Casper brüsk.
»Schade.« Die Frau zuckte anmutig mit den Schultern. »Eines Tages wird sie wie eine Rose erblühen, und in den Wolken lässt sich damit einiges an Kupfermünzen verdienen. Ich bin übrigens Madam Laurabelle May. Aber alle nennen mich Miss May.« Dann knuffte sie Casper in die Seite und fügte zwinkernd hinzu: »Gewisse Burschen mit genügend Kupfermünzen können mich allerdings nennen, wie sie wollen, nicht wahr?«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss May.« Er ließ ein wölfisches Grinsen aufblitzen, das ich zuvor noch nicht an ihm gesehen hatte.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, da bin ich mir sicher«, schnurrte sie.
»Gemächer?«, brachte ich mühsam heraus, mit gesenktem Kopf und meiner Hand vor dem Mund.
»Hat sie gerade nach Gemächern gefragt?«, lachte Miss May los. »Oh, aber ja, Eure Hoheit, ich werde den Sänftenträger anweisen, Euch zu eurem güldenen Thron zu geleiten!« Nachdem sie sich vor Lachen ausgeschüttet hatte, zeigte sie mit ihrer Pfeife auf mich und sagte: »Klein, ohne Fenster, wie verlangt, und ihr werdet alle drei darin wohnen.
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