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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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schnell hochkommen, holt uns ein Jet des ADAC inklusive Ärzteteam und Krankenschwester heim. Gleiches geschieht, wenn wir beim Golfen am Golf in einen Staatsstreich geraten und die Bundeswehr Truppentransporter schickt.
    Außerdem sind wir antiautoritär groß geworden. So wie wir nicht mit der Stationierung der Nachrüstungsraketen einverstanden waren, nur weil unsere Regierung sie forderte, fangen wir nicht an zu klatschen, nur weil Thomas Gottschalk uns dazu auffordert. Wir schauen überhaupt kein Fernsehen,
jedenfalls nicht vor 23 Uhr, was vielleicht den größten Unterschied zwischen unserer Generation und der Generation meiner Eltern ausmacht. Uns kann man nicht mit TV-Serien, in denen in putzigen Kleinstädten gemütliche Landärzte praktizieren, die noch mit drei Generationen samt Bernhardiner unter einem Dach leben, ruhig stellen. Wir werden deshalb auch nicht ins Altenheim gehen. Wir werden – vielleicht ist das der wirkliche Beitrag unserer Generation zum Weltkulturerbe – im Alter wieder in WGs wohnen. Nicht in besetzten Häusern wie früher mit Toilette im Halbstock und Badewannen, in denen sich all die Tiere sammelten, die eigentlich ausgestorben waren. Wir werden in ehemaligen Industriehallen leben, wo unsere Eltern noch im Schweiße des Angesichts ihr Brot verdient haben. Wir werden diese Lofts altersgerecht sanieren lassen mit ebenerdigen Eingängen und Aufzügen, die breit genug sind für Rollstühle. Wir werden eine Köchin aus Kalimantan einstellen und abends zusammen in dem kleinen Kino, das selbstverständlich zur Wohnanlage gehört, unsere Lieblingsfilme gucken wie Spiel mir das Lied vom Tod.
    Wir hatten uns ein paarmal mit befreundeten Paaren getroffen, um über solch eine Alters-WG nachzudenken. Der Plan: Mit 60 würden alle ihre Eigentumswohnungen verkaufen und den Erlös in einen gemeinsamen Topf einzahlen. Davon würde ein geeignetes Objekt gekauft, umgebaut und von allen bewohnt werden, mit gleichen Rechten und Pflichten. Was wir in unserer Jugend nicht erreicht hatten, die klassenlose Gesellschaft – im Alter würden wir sie realisieren.
    Aber war das nicht unglaublich naiv? Dieses Modell setzte voraus, dass nicht nur allen Mitgliedern unserer Alterskommune die gleichen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen würden, sondern dass alle auch gleich gesund und rüstig blieben. Und ob ich eines Tages einziehen dürfte ins »Shangri-La«, so der Gewinner eines Brainstormings über den Namen unseres Wohnprojekts, stand seit Martinas Auszug in den Sternen, denn sie hatte den Kontakt geknüpft. Also lief doch
alles darauf hinaus, dass ich irgendwann im Altenheim allein vor dem Fernseher sitzen und Gloria von Thurn und Taxis beim Plätzchenbacken zuschauen würde.
    Apropos Fernsehen: Es war Samstagabend 20 Uhr 30, und ich ertappte mich dabei, wie ich im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und Fernsehen guckte. Kein Fußballspiel, sondern richtiges Fernsehen. Wobei ich das Gefühl hatte, dass auf allen Sendern dasselbe Programm lief: überall schunkelnde Rentner. Eine Nation in Grau, die wie auf Knopfdruck zu klatschen begann, wie früher die Affen-Kapelle im Eingang vom Kaufhof, wo man 10 Pfennig einwerfen musste, damit sie Musik machte.
    Tut mir leid, aber nicht nur meinem Vater geht’s schlecht.
    So verbrachte ich den Abend zappend vor dem Fernseher, bis irgendwann die Sex-Angebote kamen und eine grauhaarige Oma ihre welken Brüste, an denen sie Generationen von Kindern und Kindeskindern gesäugt hatte, in die Kamera hielt und über ihre Brille mit Goldrand – meine Oma hatte auch so eine Brille, aber sie setzte sie auf, wenn sie mir Rotkäppchen vorlas – erklärte, dass mich unter der entsprechenden Nummer reife Frauen ab 60 erwarten würden. So abstoßend dieser Anblick auch war, ich konnte mich nicht losreißen, dabei schaute ich in einen Abgrund. Dort, zwischen dem lüsternen Lächeln der unwürdigen Oma und dem stoischen Schweigen meines dementen Vaters, lag das unbekannte Reich des Alters, das mir Angst machte.
    Wo würde ich meinen Platz in diesem dunklen Kontinent finden, fragte ich mich, während ich das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe vorbereitete, das Montagabend bei mir stattfinden würde. Dazu gehörten nicht nur Staubsaugen und den Biervorrat auf dem Balkon zu checken, der seit Martinas Auszug rasch zur Neige ging. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass immer zu Beginn der Treffen in einem Blitzlicht , so Beates Formulierung, die Gastgeberin oder der Gastgeber ein

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