Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Generationen in der Wüste lebt, und sein Neffe Machmud. Ein Glücksfall für meinen Sohn, denn in Machmud hatte er einen gleichaltrigen Gefährten an seiner Seite, mit dem er sich die Wüste erobern konnte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, hatten eine Menge Spaß miteinander und wurden nicht müde, sich in einem Kauderwelsch aus Arabisch, Deutsch und Englisch auszutauschen.
Ganz behutsam hatte ich meinen Sohn an die Wüste herangeführt, die ihm damals noch absolut fremd war. Ich hatte ihm ein Stück Welt gezeigt, in dem es andere Regeln gab, ihm gezeigt, dass man auch ganz anders leben kann, jenseits dessen, was in unserer übertechnisierten Zivilisationswelt als normal und akzeptabel gilt.
Wüste Sinai: Bei den Beduinen lernt mein Sohn Aaron das Reiten auf einem Dromedar.
Eigentlich ist das Leben meiner Söhne in ganz normalen Bahnen verlaufen, bis auf die Tatsache, dass ihr Vater jedes Jahr für ein paar Monate unterwegs war, zumeist in den Wüsten der Welt. Doch wieder zu Hause, habe ich umso mehr Zeit mit meinen Jungs verbracht: Tischtennis, Fußball, Kino, Lagerfeuer, Schularbeiten – und viele, viele Gespräche.
Niemals habe ich meine Söhne dazu animiert, mit mir in die Wüste zu reisen. Vielmehr hatte ich das Glück, dass Aaron und Dirk von sich aus irgendwann den Wunsch äußerten, jenen Teil der Welt kennenzulernen, in dem ihr Vater immer wieder mit Begeisterung unterwegs war.
So kam es, dass ich mit meinem älteren Sohn Dirk in Islands Lavawüste Sprengisandur sowie in der algerischen Sahara unterwegs war, wo uns heftige Sandstürme heimsuchten, die keinerlei Orientierung zuließen und die uns immer wieder ins Biwak zwangen. Zudem wanderten wir im Norden Alaskas durch die Wüste Kobuk, das nördlichste Sandmeer der Erde, das der Wind vor mehr als 30 000 Jahren aus hellem Flusssand zusammengetragen hat. Dort überraschte uns ein urzeitliches Gewitter, wie wir es noch nirgends erlebt hatten. Donnerschläge rollten über die Weite, als ein greller Blitz mit Krachen in einen Baum einschlug, der sofort in lodernden Flammen stand.
Und auch mit meinem jüngeren Sohn Aaron war es nicht weniger bewegend und spannend: In der Nordsahara zogen wir mit Kamelen durch das Wüstengebiet von Erg Chebbi, das größte Sandmeer Marokkos, mit bis zu 100 Meter hohen Dünen, wo eines unserer Dromedare im tiefen Sand einer Dünenflanke strauchelte und – mit Aaron im Sattel – auf die Seite stürzte; zum Glück blieb mein Sohn unverletzt. In der Wüste Sinai war Aaron hingegen völlig aus dem Häuschen, wenn wir durch enge Schluchten ritten, wo er beim Ausbreiten seiner Arme die Felswände berühren konnte. Es begeisterte ihn auch, wenn er zwischen Gesteinsblöcken einen Fennek (Wüstenfuchs) entdeckte, der uns mit seinem hellen Fell und hoch aufgestellten Ohren neugierig fixierte. Ebenso intensiv waren jene Momente in Ägyptens Libyscher Wüste, westlich vom Nil, wenn wir beim Aufbau des Lagers gelegentlich eine Sandviper oder einen Skorpion auf dem sandigen Erdboden entdeckten und uns gegenseitig warnten.
Bedauerlich ist nur, dass ich mit meinen Söhnen bislang nie zusammen in der Wüste unterwegs war. Das liegt daran, dass Dirk vierzehn Jahre älter ist als Aaron, sodass eine gemeinsame Reise nie möglich war. Hatte der eine Zeit, war der andere mit Schule, Studium oder Ausbildung beschäftigt.
Mittlerweile sind meine Söhne erwachsen: Dirk ist 34 und Aaron 20. Viele Jahre ist es nun schon her, seit die beiden erstmals Lust verspürten, die Wüste kennenzulernen. Damals haben meine Frau und ich nicht gleich ihrem Wunsch zugestimmt, sondern gemeinsam überlegt, ob so eine Reise überhaupt Sinn machte. Doch von einigen kurzen Phasen des Zweifelns abgesehen, waren wir uns bald einig, dass das Unterwegssein in einer Wüste für die Kinder eine wunderbare »Lebensschule« ist. Dort geht es um so viele Dinge, die zum Sinn des Lebens beitragen: Hilfsbereitschaft, Geduld, Zähigkeit, Unabhängigkeit, Demut, Dankbarkeit und Achtsamkeit gegenüber anderen. Zudem sind meine Frau und ich der Meinung: Wer immer auf Nummer sicher geht, wird niemals außergewöhnliche Erlebnisse und Erfahrungen machen.
Gleichzeitig muss ich einräumen, dass mögliche Lehren in der Wüste nicht automatisch erfolgen. Nichts kann in der Wüste an Erfahrungswerten eins zu eins übertragen werden. Es kommt immer auf den jeweiligen Menschen und die jeweilige Situation an. So geht zum Beispiel jeder mit den Gefahren der Wüste völlig
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