Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
umgekehrt, landet die heiße Pracht im Kragen.
Abgesehen von Dauermüdigkeit glaubte ich eigentlich, die Lage im Griff zu haben, als mich letzte Nacht heulende Böen aus der Koje holten. Ich hastete an Deck, um das Großsegel zu reffen, dabei knallte mich eine abrupte Welle in Verbindung mit einer harschen Bö voll gegen eine Klampe am Großbaum. Dummerweise hatte sich auch noch der Metallbeschlag meines Sicherheitsgurtes vierkant zu meiner Brust gedreht und die Punktbelastung verschlimmert. Ich sackte am Mast zusammen wie ein Boxer nach einem K.-o.-Schlag.
Die dritte oder vierte Rippe von oben (rechts) ist gebrochen. Ein stechender Schmerz hielt mich weiter an Deck. Ich wagte nicht das Segel zu bändigen. Harrte der Dinge, bis es mir kalt wurde und ich mich durchs Luk in die Kajüte schob. Bin schmerzensmüde: Kurz vor Feuerland hatte ich mir schon den Handrücken aufgeschnitten, die Knöchel sind wund gescheuert, die Hände aufgerissen, Knie und Ellbogen entzündet.
Das Lachen ist mir wegen der Rippe für die nächsten vierzehn Tage vergangen. Jetzt muss ich meine Bewegungen völlig neu koordinieren. Muss alles mit links machen, winschen, mich festhalten, kochen, durchs enge Luk hangeln. Alles ist schmerzhaft, sogar Liegen in der Koje. Und alles braucht viel mehr Zeit.
Die Fahrt, das sehe ich, wird länger dauern als geplant. Ich habe mich immer für einen großen Logistiker gehalten, doch jetzt stehe ich vor Proviantproblemen. Ich ahnte nicht, dass Kälte und lange Tage so viel mehr Energie kosten. Also muss ich rationieren. Esse jetzt nur noch zweimal täglich. Vormittags gibt es meist Porridge und eine Scheibe Dosenbrot oder Knäcke, nachmittags Reis, Tütensuppe oder eben Spaghetti, jeweils mit frischen Zwiebeln, Dosengemüse oder einer Tomatenpampe und manchmal mit von Astrid eingewecktem Fleisch. Das reicht aber nicht. Wenn man rationiert lebt, denkt man unentwegt ans Essen. Zumal ich auf dem Proviant liege und nicht zugreifen darf. Das wünsche ich niemandem.
Um Haltung zu bewahren, versuche ich meinem Bordleben einen festen Rhythmus zu geben. An jedem Wochenende sind Körperwäsche, Kleiderwechsel, ein besonderes Essen und eine neue Musikkassette fällig. Die höre ich dann rauf und runter. Das hat einen Rauscheffekt. So lege ich etwa die Lieder von Patricia Kaas bei rauem Wetter ein. Abba bei Schwachwind oder Flaute, Suzanne Vega und Loreena McKennitt, wenn ich mich richtig gut fühle. Letzteres passiert, man glaubt es nicht, auch manchmal wenn ein Sturm weiße Bahnen übers Meer zieht.
Die berühmten Kaps und andere Feiertage zelebriere ich regelrecht. Besonderes Essen, Bier oder Wein, Kerzenschein. Um die Bewegungen für einige Stunden erträglicher zu machen, reduziere ich kurzfristig die Segelflächen. Ich erfinde auch Anlässe, um meine Stimmung zu heben oder das Einerlei – Kurshalten, Segelmanöver, Wetter – zu durchbrechen. Jeder runde Längengrad, beispielsweise der 160. oder 170., werden zu einem solchen Anlass. Ein Lied aus vollem Hals, ein paar rhythmische Tanzschritte oder aufmunternde Selbstgespräche geben ihm die spezielle Note. »So, dann wollen wir es uns mal gemütlich machen«, sage ich, wenn ich den »Tisch« auf dem Kajütboden klarmache zum Essen. Oder feierlich auf Italienisch: »Buon appetito, Signore Weltumsegler. Come sta?« Dies am liebsten in Mafioso-Tonlage, mit einer Stimme, die tief von unten kommt.
Eine zehrende Sehnsucht aber lässt sich auf keine Weise erfüllen: Haut berühren – fremde Haut.
23. Januar 2001 – 163. Tag
Brodelnde See, schäumende Gischt, festes Wasser auf dem Deck. kathena nui fährt seit neun Tagen durch eine chaotische See, die von immer neuen Sturmfronten aufgepeitscht wird. Nicht umsonst heißen die Breitengrade, durch die ich segle, die »Brüllenden Vierziger« und »Schreienden Fünfziger«. Fünfmal beginnt das Barometer zu steigen und fällt kurz darauf wieder ins Bodenlose. Die nächste Front ist im Kommen – mit zehn und elf Beaufort. Und jede kommt von vorn. Eine gute Woche auf den Gipfeln des Meeres. Aber Gipfelglück kommt da nicht auf.
Am vierten Tag habe ich einen seelischen Breakdown. Ich schnappe mir den Fäustel und will damit das Barometer zertrümmern. Zum Glück treffe ich nur den Alukochtopf, den ich dagegen total niedermache. Bin unberechenbar wie die Natur. Es ist nicht Angst vor den Elementen, es ist eine tiefe Verwundung, weil das Wetter viel Kraft kostet und es dennoch nicht vorangeht. Zwölf
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