Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Paprika und Zucchini. Dazu allerlei Gewürze und gelegentlich Fata , gebratenes Lammfleisch.
Neben der Bedürfnislosigkeit zahlreicher Wüstenvölker, die mich stark prägte, erfuhr ich im Laufe der Zeit, dass die Tuareg wie auch die Beduinen seit Generationen eine Art von »Wüsten-Know-how« überliefern, das es ihnen auf langen Karawanenrouten ermöglicht, Hunger und Durst einigermaßen in den Griff zu bekommen. So lutschen viele Nomaden auf langen Kameltrecks kleine Kieselsteine, um die Speichelproduktion anzuregen, oder speicheln eine getrocknete Dattel ein, auf der sie stundenlang herumkauen. Andere zelebrieren beim Wandern mantraartig den immer gleichen Satz: »Du musst zum Stein werden!« Worte, die Hunger und Durst für eine gewisse Zeit ausblenden sollen. Denn ein Stein, so erzählen die Nomaden, kann in der Einöde alles ertragen, ehe er durch Erosion auseinanderbricht.
Wieder andere singen Lieder vom Leben, vom Leiden und von der Liebe. Lieder und Gesänge, die belebend wirken, die bedrückende Gefühle vertreiben, die Einsamkeit verscheuchen und die Stille durchbrechen. Hoffnungsvolle Lieder, die vom Glück der Familie erzählen und die Gesundheit der Kamele preisen.
Und dann ist da noch das »Visualisieren der eigenen Ziele«. Schon Lawrence von Arabien hatte in seinem Buch Die sieben Säulen der Weisheit von der Kraft der Vorstellung geschrieben, die beim Ausblenden des Hungergefühls tatsächlich helfen kann. So wurde das Wüstenwandern für mich zu einer Form der Meditation, wobei es mir immer mehr gelang, mein Hungergefühl zu einer Art des Fastens zu machen. Denn beim Fasten erfolgt der Nahrungsverzicht freiwillig, bewusst und geplant, sodass keinerlei psychischer Stress entsteht, während beim normalen Hungergefühl das Gehirn reichlich Stresshormone ausschüttet, die zu einer starken inneren Unruhe und Belastung führen. Erschöpfung und Konzentrationsmängel wirken sich dann rasch leistungsmindernd aus.
Gleichwohl birgt auch das Fasten, der »freiwillige Nahrungsverzicht«, gewisse Risiken: Denn bei dieser Art des Hungerns werden sehr viel mehr Endorphine als Stresshormone gebildet, die als körpereigene Opiate wirken. So habe ich auf langen Wüstenmärschen immer wieder festgestellt, dass sich auch beim bewussten Fasten euphorische Empfindungen einschleichen, die zu einer Art Rauschzustand führen können. Ein Befinden, das bei längeren Fastenperioden auch das Suchtpotenzial steigern kann.
Darüber hinaus habe ich bei den unterschiedlichsten Wüstenvölkern nicht nur die einfachsten, sondern auch die ungewöhnlichsten Dinge auf den Teller bekommen. So etwa im äußersten Nordwesten Chinas, in der Provinz Singkiang, ehemals Ost-Turkestan. Dort erstreckt sich die Dsungarei, eine Sand- und Steinwüste mit rund 770 000 Quadratkilometern, umgeben von drei Ländern: Im Norden liegt Kasachstan, im Westen Kirgisistan, im Osten die Mongolei. In dieser entlegenen Wüste, wo ich mich auf einer wochenlangen Wanderung vor Mücken, Spinnen, Vipern und Skorpionen hüten musste, wurde ich in einer exotischen Oase zum Festmahl eingeladen. Es gab eine Spezialität der Nomaden: in der Glut gebratene Eidechsen. Nicht gerade mein Geschmack, doch hätte ich abgelehnt, wären meine Gastgeber beleidigt gewesen. Also verzehrte ich notgedrungen das scharfgewürzte Echsenfleisch und trank dazu mehrere Schalen turkestanischen Tee, auf dem säuerliche Flocken getrockneter Milchhaut schwammen.
Sehr viel mehr Gaumenfreuden bereitete mir ein grünäugiger Kasache mit einem Gesicht wie Dschingis Khan, den ich mit seinen vier beladenen Kamelen mitten in der Dsungarei-Wüste traf. Er bot mir für die Nacht nicht nur einen Platz an seinem Lagerfeuer an, sondern kochte auch eine Kanne grünen Tee. Ein wohlschmeckendes dampfendes Gebräu, von dem ich bei absinkenden Temperaturen gar nicht genug bekommen konnte, ehe er mir einen Teller mit dicken Nudeln und Hammelfleisch servierte. Dazu gab es reichlich Nang, das flache Weizenbrot der Nomaden, das er in der Glut eines kleinen Feuers gebacken hatte.
Der mongolische Teil der zentralasiatischen Wüste Gobi ist trotz größter Trockenheit teilweise eine steppenhafte Halböde, in der schwankende Sommerregen zuweilen für dichte Grasdecken sorgen. Deshalb konnten hier riesige Pferdeherden heranwachsen, die diesen Teil der Erde zur Wiege eines Reitervolkes machten, das vor 800 Jahren unter der Führung des legendären Dschingis Khan ein Weltreich
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