Von Flammen verzehrt
waren stets Kinder abgebildet, und jedes Frauenbild war mit einem Spruchband unterlegt.
„Was steht da? Ist es das, wonach wir suchen?“, fragte Fay, die die Mühe hatte, die alten Buchstaben zu entziffern.
„Ich denke nicht. Dort steht DELPHICA, weil diese Sibylle der Region um Delphi zugeordnet wurde. Vielleicht hast du schon vom Orakel von Delphi gehört?“
„Sicher, nur habe ich nie … angenommen, dass diese Sagen oder Legenden einen wahren Kern haben könnten. Die Bildunterschriften … du denkst also nicht, dass darin der Schlüssel liegen könnte?“
Fays Nacken schmerzte, so lange hatte sie schon die Decke bestaunt.
Julien schüttelte den Kopf.
„PERSICHIA, DELPHICA, LIBICA … wenn darin eine Botschaft liegt, dann sehe ich sie nicht.“
„Aber es müssen Worte sein!“, beharrte Fay. „ Das Wort ihrer Schwestern … schreibt der Wanderer – es gibt hier aber keine Zitate oder Sprüche der Sibyllen!“
Julien erstarrte. Aufgeregt fasste er Fays Hand.
„Du hast recht! Wir sind hier falsch!“ Er zeigte noch einmal nach oben und sah sich die einzelnen Bilder der Prophetinnen an. „ Ihre Worte! Sieh dir die Malerei an, dann erkennst du, wo ihre Worte sind.“
„Ich seh nichts. Wenn du es weißt, dann sag es mir. Warum sind wir hier falsch, Julien?“
„Sieh hin! Was haben sie alle gemeinsam?“
Fay studierte angestrengt die Bildnisse, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.
„Natürlich! Die Bücher! Sie alle halten Bücher! Haben sie ihre Worte niedergeschrieben?“, fragte Fay, und Juliens Aufregung übertrug sich nach dieser Entdeckung auch auf sie selbst.
„Das haben sie wirklich!“, bestätigte Julien ihre Vermutung und küsste sie flüchtig auf den Mund, ehe er sie in Richtung Ausgang führte.
„Eine römische Legende besagt, eine der Prophetinnen habe einem römischen Kaiser neun Bücher mit ihren gesamten Prophezeiungen zum Kauf angeboten, aber der Preis sei ihm zu hoch gewesen. Darum habe sie drei verbrannt und für die übrigen sechs den gleichen Preis verlangt. Er habe wieder abgelehnt, und sie habe daraufhin weitere drei verbrannt. Am Ende soll er die verbliebenen drei Schriften zum vollen Preis gekauft haben.“
„Wo sind sie heute?“
Julien zuckte mit den Schultern.
„Ich habe keine Ahnung. Aber vielleicht kann uns das die Frau dort drüben sagen“, schlug er vor und zeigte auf eine der Mitarbeiterinnen des Museums.
Als sie die Sixtinische Kapelle verließen, waren sie sprachlos.
„Apollon!“, murmelte Julien fassungslos. „Immer wieder führt er uns zu diesem Namen! Man kann sagen, was man will, aber der Wanderer versteht es, ein Mysterium aus sich zu machen.“
„Er versteht es auch ausgezeichnet, ein riesiges Arschloch zu sein!“, rief Fay und sah sich unsicher um. „Er verarscht uns! Die Frau hat gesagt, der letzte bekannte Aufenthaltsort der Bücher sei der Tempel des Apollon – und der liegt doch ganz in der Nähe vom Mund der Wahrheit. Wir sind also vollkommen umsonst durch halb Rom gerannt!“
Julien drehte sich im Kreis und suchte die Umgebung ab, eher er Fay an der Hand nahm und in nördliche Richtung davonging.
„Was machst du? Wo gehen wir hin?“
„Cruz ist zu Alessa gefahren. Der Wanderer könnte sie in die Sache hineinziehen wollen, darum wird Cruz, außer ich rufe ihn, auf jeden Fall bei ihr bleiben.“
„Dann ruf ihn an, wir müssen zurück zum Palatin!“
Julien schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, Fay. Wir haben in Paris gesehen, dass die Bruderschaft des wahren Glaubens jede Möglichkeit nutzt, uns aufzuspüren. Mobilfunknetze, Überwachungskameras und all diese Dinge. Zwar gibt es hier in Rom weit weniger Videoüberwachung als in Paris, aber telefonieren werde ich nur im absoluten Notfall. Außerdem werden wir mit der Metro schneller sein als mit dem Auto.“
Er zeigte die Straße entlang, an deren Ende Fay das U-Bahn-Zeichen erkennen konnte.
„Glaub mir, Fay, das Letzte, was wir jetzt noch gebrauchen können, ist die Aufmerksamkeit der Bruderschaft .“
Der Sender
Paris, heute
Jade kaute ihre Fingernägel ab und starrte auf das Blinken auf ihrem Monitor. Seit Tagen tat sie nichts anderes. Sie wartete auf ein Signal. Immer wieder raufte sie sich die Haare und fragte sich, warum zum Henker ihr Sender kein Signal aussandte.
Ihr Zungenpiercing klackerte im Takt ihres Herzschlags gegen ihre Zähne, und sie schmeckte ihren schalen Atem.
„Fick dich!“, rief sie und stieß ihren Stuhl zurück, ohne
Weitere Kostenlose Bücher