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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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Mike und Eve hier hängen hast?«, fragte ich und sorgte dafür, dass ich ihr in diesem Augenblick den Rücken zukehrte, damit sie nicht sehen konnte, wie ich dabei heimlich grinsen musste. »Was ist mit deiner Mutter und deinem Vater? Deinen Freundinnen von früher?«
    Sie zögerte mit der Antwort keine Sekunde. »Die Fotos sind alle in unserem Haus verbrannt.«
    Als ich mich zu ihr umdrehte, saß sie auf dem Bett und lackierte sich die Zehennägel.
    »Warum lackierst du dir jetzt die Zehennägel? Es ist Oktober.«
    Ich deutete auf meine neuen Doc Martens, um klarzumachen, was ich meinte, aber in dem Moment, als ich es tat, begriff ich, und mir sackte das Herz bis in die Magengrube. Mädchen in unserem Alter lackieren sich die Zehennägel nur dann im Oktober, wenn sie wissen, dass es jemandem auffällt. Ich stellte mir sie und Sid auf ihrem Bett vor, sein Mund an ihrem Nacken und ihre Zehen mit den rot lackierten Zehennägeln, die sich in das Laken kraulten. Schnell wandte ich mich daraufhin wieder zu ihrer Kommode, griff nach einem Lidschatten und starrte darauf, bis mir die Aufschrift vor den Augen verschwamm.
    Ich hätte am liebsten irgendetwas mitgenommen. Irgendetwas von ihr. Das machte ich damals ebenfalls häufig. Dinge von ihr mitgehen lassen. Nichts Besonderes. Ein Paar Ohrringe. Einen Lipgloss. Ein Foto, das sie aus einer Zeitschrift ausgerissen hatte. Nichts, was sie sofort vermissen würde. Einmal hab ich bei ihr eine Kette mitgenommen, die ich ihr geborgt hatte, und als ich nach Hause ging, die Kette in der Tasche meiner Jeans, malte ich mir aus, wie sie auf der Suche danach ihr ganzes Zimmer auf den Kopf stellte.
    Am nächsten Tag brach sie beinahe in Tränen aus, als sie sich dafür entschuldigte, dass sie sie verloren hatte. Und da bemerkte ich ihn das erste Mal. Den Zweifel in ihren Augen. Wohin war das alles verschwunden – die Kette, die Ohrringe, der Lipgloss, das Foto aus dem Modemagazin mit dem Kleid, das ihr gefallen hatte? Da wusste ich – ich sah es –, dass sie anfing, sich zu fragen, ob sie allmählich den Verstand verlor, und das Gefühl der Befriedigung, das ich dabei empfand, war überwältigend. Ich war ganz benommen davon, fühlte mich den Rest des Tages wie berauscht. Ich sorgte dafür, dass sie allmählich zerbrach – langsam, ganz langsam.
    Zuerst wollte ich das Kinoticket nehmen, aber als ich dann auf ihrem Schreibtisch die Zeichnung sah, wartete ich, bis sie nicht hinschaute, und schob das Blatt dann so zur Seite, dass es zwischen Schreibtisch und Wand fiel.
    »Ich lackiere mir immer die Zehennägel«, sagte sie auf einmal. Ich reagierte angespannt, weil ich mir sicher war, dass sie mich gerade beobachtet hatte, aber sie hatte nicht aufgeblickt.
    »Ich bin da ziemlich paranoid«, fuhr sie fort, während sie sich vorbeugte, um auf ihre Nägel zu pusten. »Ich mache das, seit ich einmal eine dieser Sendungen über Verbrechen gesehen habe, in der in einem finsteren Durchgang die Leiche eines Mädchens gefunden wurde. Man hat sie erst nicht identifizieren können, und die Polizei dachte, dass es sich um eine Obdachlose handelte. Dann fiel einem Detective zufällig auf, dass ihre Zehennägel lackiert waren, und dadurch wurde ihm klar, dass sie ein Zuhause haben musste. Die Ermittlungen wurden fortgeführt, schließlich fand man ihre Familie, und sie bekam wenigstens ein ordentliches Begräbnis.«
    Sie wirkte dabei so ernst, dass ich lachen musste. »Was?« Etwas in mir entspannte sich, als mir allmählich klar wurde, was sie da gerade erzählt hatte. »Du malst dir deine Zehennägel an, falls du womöglich ermordet werden solltest?«
    Sie dachte einen Augenblick nach und runzelte dann die Stirn. »Ja. Scheint so.«
    »Wer kommt denn auf eine solche Idee?« Ich lachte wieder, so lange, bis sie schließlich einstimmte. Und wie sie da auf ihrem Bett saß, mitsamt ihren roten Zehennägeln, wünschte ich mir, Onkel Alex könnte sie sehen. Könnte sehen, was mein Vater ihr angetan hatte, welche Angst sie hatte, sie könnte aufgespürt werden.
    Am nächsten Morgen im College musste ich mir auf die Lippen beißen, um mein Lächeln zu unterdrücken, als ich mit ansah, wie sie verzweifelt ihr Schließfach durchwühlte, um ihre Zeichnung zu finden.
    »Hast du sie vielleicht zu Hause vergessen?«, fragte Sid, der auf der Suche danach eines ihrer Schulbücher durchblätterte.
    »Ich kann mich genau daran erinnern, dass sie gestern Abend noch auf meinem Schreibtisch lag«, kam es von ihr

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