Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
bin.«
»Stört dich das? Dinge zu verlieren?«
»Ich hab schon immer Sachen verloren. Das hat mich noch nie besonders gestört, auch nicht als ich klein war.«
»Warum nicht?«
Ich musste daran denken, wie ich einmal meinen Bären Henry in der U-Bahn verloren hatte. Sein Fell war abgewetzt und die rote Schleife um seinen Hals ausgefranst, deshalb konnte mein Vater nicht verstehen, warum ich gar nicht aufhören wollte zu heulen.
»Jetzt sei nicht so kindisch, meine Kleine«, hatte er gesagt, mich aufgehoben und auf die Stirn geküsst. »Es war doch nur ein Teddy.«
Und am nächsten Tag kam er dann mit einem viel größeren neuen Teddy nach Hause.
»War dann wohl kein Verlust«, meinte ich achselzuckend zu Doktor Gilyard.
Sie nickte und schrieb es auf. »Glaubst du, dass er bei dir was gutmachen wollte?«
»Wofür denn?«
»Na, weil deine Mutter nicht mehr da war. Und weil er schließlich unsaubere Geschäfte betrieb.«
Mich durchfuhr ein stechender Schmerz, und ich wandte den Kopf ab. »Ich bin kein verwöhntes Gör«, sagte ich.
Aber das stimmt nicht. Ich bin es. Was auch immer ich haben wollte, habe ich bekommen. Erst recht, als ich dann in St. Jude’s war. Mein Vater wollte unbedingt, dass ich dort mit den anderen Mädchen mithalten konnte. Deshalb bekam ich immer alles, was sie auch hatten, und noch mehr. Wenn Olivia ein neues Laptop hatte, schenkte er mir ein noch besseres. Wenn sie mit einer neuen Tasche von Mulberry herumlief, bekam ich gleich drei davon in verschiedenen Farben.
»Ich hab nicht gesagt, dass du ein verwöhntes Gör bist, Emily.«
»Ich hab noch nie in meinem Leben einen Tobsuchtsanfall bekommen.«
»Weil es nie nötig war.«
Ich blickte sie an. »Und was heißt das?«
»Das heißt, dass dein Vater alles getan hätte, um dich glücklich zu machen.«
Darauf antwortete ich mit einem Lachen, aber ich musste den ganzen Tag darüber nachdenken. Ich muss auch jetzt noch darüber nachdenken. Deshalb sitze ich jetzt hier frierend in der leeren Stahlbadewanne. Meinem Vater war es scheißegal, womit er sein Geld gemacht hat. Hauptsache, es war viel. Und das hat er an mich weitergegeben, oder? Ich bin mit keiner wirklichen Vorstellung von Geld groß geworden oder dem Wert, den irgendetwas besitzt. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich einen Geldbeutel voller Scheine hatte, aber mir den Nagellack bei Boots einfach klaute, weil ich keine Lust hatte, mich in der Schlange an der Kasse anzustellen?
Während ich das aufschreibe, fällt mir auch der Abend im Oktober ein, als ich meinen Geldbeutel nicht finden konnte. Ich wühlte an der Tankstelle, wo ich schnell noch Milch kaufen wollte, hektisch in meiner Tasche. Worüber ich mir wirklich Sorgen machte, war, dass ich dann zu Hause keine Milch für meinen Tee haben würde. Damals dachte ich, das alles hätte daran gelegen, dass ich so müde war. Doch nach meinen Sitzungen bei Doktor Gilyard bin ich mir da nicht mehr sicher.
»Er muss hier irgendwo sein«, sagte ich zu dem gelangweilt dreinblickenden Typen hinter der Theke und schüttete den gesamten Inhalt meiner Tasche aus. Meine Schlüssel klimperten hysterisch, und mein Lipgloss rollte über die Theke. Er legte seine Hand darüber, bevor er auf den Boden fallen konnte. »Ich hab vorhin in der Kneipe eine Runde für alle spendiert, er muss hier in der Tasche sein.«
Der Typ guckte mich an, als wollte er sagen: Schon recht, Schätzchen. Ich konnte es ihm nicht mal vorwerfen. Mit meinen zerzausten roten Haaren und meinem verschmierten Make-up muss ich im harten Neonlicht der Tankstelle nicht gerade vertrauenerweckend ausgesehen haben. Ich war mit Sid und Juliet auf einem Gig gewesen und deshalb total verschwitzt. Das T-Shirt klebte mir am Körper. Wahrscheinlich dachte der Typ von der Tankstelle, er hätte eine Drogenabhängige vor sich.
Wer sonst kauft um Mitternacht an einer Tankstelle einen Berg Schokoriegel und eine Milch?
»Ich zahl das«, hörte ich auf einmal jemanden sagen.
Als ich aufblickte, sah ich, dass Mike neben mir stand und seine Kreditkarte über die Theke reichte. »Na, ein richtiges Abendessen ist das aber nicht, Mädchen«, meinte er mit gespielter Empörung und deutete auf die vielen Schokoriegel.
Ich lächelte zuckersüß. »Ich hab so viel für die Schule lernen müssen, dass ich keine Zeit mehr für ein ordentliches Abendessen hatte.«
»Die Kartoffelchips, die ihr vor dem Gig im Pub in euch reingestopft habt, haben dir also nicht gereicht?«
Ich kicherte, und
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