Von jetzt auf gleich
hörte ich Lydia sagen. Ich löschte die E-Mail und schaute in Lydias Richtung, als ungefähr zehn Leute vom Vertrieb und von den Kreativen sich in unserem gemeinsamen Bereich versammelten. »Wir haben jemanden unter uns, der sehr intelligent, aber oft unbeachtet ist, meine
ich
. Diese Person hat sehr hart gearbeitet und wollte das schon lange … Ich bitte Sie, sie mit mir im Kreativteam willkommen zu heißen.«
Ich fühlte Panik und Aufregung in mir aufsteigen. Ich hatte recht. Lydia war dabei, mich zu befördern. Und das öffentlich. So plötzlich! So unerwartet! Und doch so verdient! Die Frau, die ihre Nase immer aus Schwierigkeiten herausgehalten, jedoch stets ihr Bestes für die Agentur gegeben und immer glänzende Ideen für die Werbeaktionen hatte … Jetzt ist endlich meine Zeit gekommen. Ich hatte ja schon angenommen, dass das ein guter Tag werden würde, aber ich konnte nicht ahnen, dass es
so
ein guter Tag würde.
»Seit heute gibt es im Vertrieb eine Person weniger.« Ich hielt die Luft an und wartete. »Unser neuer Texter ist Kurt Wyatt! Gratulieren Sie ihm«, sagte sie mit einem Gesichtsausdruck, der einem Lächeln so nahe kam, wie ich es auf ihren Lippen noch nie gesehen hatte.
Ich atmete aus. Nein, ich tat mehr als einfach ausatmen. Ich ließ komplett alle Luft aus mir heraus. Wenn ich ein Cartoon gewesen wäre, wäre ich durch den Raum geflogen wie ein Ballon mit einem Loch, der wie ein Wirbelwind herumschwirrt, bis nichts mehr von ihm übrig ist … und schließlich auf dem Boden landet. Und man womöglich noch auf ihn drauf tritt.
Kurt? Bekommt meine Beförderung? Ich war fassungslos. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alle gratulierten ihm, und ich stand nur schweigend da, bis er mich ansah.
»Ich wusste nicht, dass du Texter werden wolltest«, sagte ich.
»Ja klar«, sagte er beiläufig. »Das war schon immer mein Traum.«
Nein, war es nicht, es war
mein
Traum. Ich glaubte fast, er hätte ihn gefunden, als er in den Schubladen an meinem Arbeitsplatz herumgewühlt hatte, und ihn gestohlen. Er hatte sich einen Dreck darum geschert, aber weil es mir
alles
bedeutete, dachte er, er nimmt ihn sich einfach mal, nur um mich zu ärgern.
Ich war total frustriert. Ich biss mir auf die Zunge – nicht um mich daran zu hindern, etwas zu sagen, was ich hinterher bereuen würde, sondern im wörtlichen Sinne, es blutete regelrecht. Auf meinem Weg zum Konferenzraum, wo die KidCo-Präsentation stattfand, machte ich einen Zwischenstopp auf der Toilette, um mir den Mund auszuspülen. Lydia stand vor dem Spiegel und war gerade dabei, sich die Locken zu glätten, doch sie verließ schnell den Raum, als ich ihn betrat.
Als ich in den St.-Bart’s-Konferenzraum kam (unsere Konferenzräume trugen die Namen von Urlaubsorten), fing die Präsentation gerade an. Ich schaute auf das Board und blieb wie angewurzelt stehen.
Wow, dachte ich für den Bruchteil einer Sekunde, da sind meine Ideen in strahlenden Farben.
Miststück, dachte ich. Meine Broadway-Szene, meine Kinder am Fließband – all die Ideen, die ich Lydia präsentiert hatte, erschienen überdimensioniert auf dem Display. Und sie verkaufte sie als ihre
eigenen
. Mich erwähnte sie mit keinem Wort. Sie hatte meine komplette Kampagne gestohlen! Der Frust, der langsam in mir hochstieg, war stärker als alles, was ich jemals erlebt hatte. Eine Wut entbrannte im Kern meines Magens und füllte meine Lungen, dass ich Feuer hätte spucken können, wenn ich es nur versucht hätte. Ich hätte etwas sagen sollen oder wenigstens ihre Haare mit meinem Atem versengen, aber die Kunden hatten bereits am Konferenztisch Platz genommen. Zumindest gönnte ich mir diese schöne Vorstellung, als ich ein paar Minuten später draußen stand. Ich hielt die Augen geschlossen, um die Tränen zurückzuhalten. Wenn ich ehrlich war, würde ich niemals irgendetwas sagen, selbst wenn Lydia und ich die einzigen beiden Menschen auf diesem Planeten wären. Und ich hasste mich für meine Unentschlossenheit, für meine Feigheit und dafür, wieder einmal Jordan Landau zu sein.
***
Ich verließ das Meeting und ging direkt nach draußen. Ich beschloss, dass ich zumindest ein ausgiebiges Mittagessen brauchte. Ich schloss mein Fahrrad auf und radelte hastig los, auch wenn ich nicht so genau wusste, wohin. Als ich an der 59. Straße ankam, fuhr ich am Central Park entlang und wusste plötzlich genau, wo ich hinwollte.
Alice’s Tea Cup
auf der 73. Ecke Columbus. Es war das
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