Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
Vom Netzwerk:
den rosafarbenen Stämmen verschwindet.
    Ich laufe ihm hinterher und denke: Ihm wird sowieso bald die Puste ausgehen. Wie zur Bestätigung beginnt Samuel zu pfeifen, als wäre er ein großer Gummireifen, der ein Loch hat.
    „Du weißt doch, wie Mädchen sind“, schnauft er irgendwo vor mir. „Die haben alle –“
    „Die haben alle was?“, frage ich.
    Samuel antwortet nicht. Ich bleibe stehen und lausche. Auch der Gumma-Reifen ist verstummt.
    „Samuel?“
    Wahrscheinlich versteckt er sich hinter einem Baum, um mich zu erschrecken.
    „Samuel, lass den Blödsinn!“, zische ich. „Wir müssen den Eingang finden.“
    Ich gehe einen Schritt weiter und erstarre. Links und rechts von mir stehen die letzten Rirken. Dahinter gibt es keinen Wald mehr und auch keinen Waldboden, nur noch den blauen Himmel. Und darunter einen schwarzen Abgrund. Zitternd lege ich mich auf den Bauch und robbe vor bis zum Rand. Der Abgrund ist so tief, dass ich den Grund nicht sehen kann.
    „Samuel!“, rufe ich. „Samuel, kannst du mich hören?“
    Doch die Grenze verschluckt es.

Band 12 oder Die verlorenen fünf Bände

    Ich liege auf dem Rücken. Der Untergrund ist hart. Meine Beine fühlen sich ziemlich lang an. Ich bin kein Kind mehr. Ich bin auch nicht mehr in der Höhle. Wenn ich meine Füße bewege, knirscht es leise. Erde. Sand. Schotter.
    „Strom-Tom?“, sage ich schwach. Mein Mund fühlt sich an, als hätte ich Löschpapier gelutscht. „Was ist passiert?“
    Es antwortet niemand. Wie so häufig.
    „Ich finde das langsam echt nervig …“ Meine Zunge ist so trocken, dass sie beim Sprechen knistert. „Ständig wache ich irgendwo auf, kann mich an nichts erinnern und fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Das ist auf Dauer ziemlich anstrengend, kann ich dir sagen.“
    Mein Gesicht ist heiß, als würde ich unter einer riesigen Wärmelampe liegen. Ein Windhauch streicht über mein T-Shirt und kühlt meine Wangen. Windhauch, denke ich. Und gleich darauf: Kraken-Orang-Utan! Ich sehe seine riesigen Affenlippen gegeneinander flappen und bin auf den Beinen, noch bevor ich meine Augen aufgerissen habe. Mein Herz erschreckt sich genauso doll wie ich und springt aufgeregt in meinen Hals auf und ab. Ich wirbele herum, doch ich kann den Kraken-Orang-Utan nirgends entdecken, auch nach der vierten Umdrehung nicht, also komme ich taumelnd zum Stehen und beschließe, mir die Panik für ein anderes Mal aufzuheben – gibt ja immer wieder mal eine passende Gelegenheit. Ich setze mich zurück in den Staub und warte darauf, dass der Schwindel nachlässt. Über mit strahlt ein blauer Himmel. Eine bis zwei Straßen kreuzen genauso viele Bahnlinien und schlängeln sich dann zwischen grün-braunen Feldern entlang, in der Ferne reihen sich Spitzdachhäuser aneinander. Hinter mir steht eine leuchtend gelbe Telefonzelle. Eine gelbe Telefonzelle. Ich bin wieder zuhause. Ich stehe auf und klopfe mir den Staub von der Hose.
    „Strom-Tom?“ frage ich, doch bekomme keine Antwort. „Strom-Tom? Bist du da?“ Ich stocke. „Oder bin ich … bin ich etwa tot?“
    Ich fühle mich eigentlich nicht tot, aber was heißt das schon? Ich schaue an mir herab. Die Stelle am Straßenrand, an der ich gelegen habe, ist noch gut zu erkennen. Ich frage mich, wie lange ich dort gelegen habe und denke: Ein Sonnenstich, ein Hitzeschlag – und nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit beide Begriffe im Lexikon nachzuschlagen, um endlich herauszufinden, ob sie tatsächlich dasselbe bedeuten.
    „Strom-Tom, weißt du, was ich glaube?“, frage ich in die Stille hinein. „Ich glaube, ich hab das alles nur geträumt. Lichtwiese, Las Voltas, die Fahrt im Wüstenwurm – das war alles nur eine Art Traum. Ich lag die ganze Zeit über hier vor der Telefonzelle und hab vor mich hin fantasiert.“
    Eine weitere Erkenntnis poppt in meinem Kopf auf wie eine umgekehrte Seifenblase, und ich verstumme schlagartig, weil Selbstgespräche nun mal ziemlich seltsam sind.
    Es gibt keinen Strom-Tom. Wenn das alles nicht real war, gibt es auch keinen Strom-Tom. Und Agerian, Elenor, Tante Hablieblieb und Strom-Klaus gibt es genauso wenig. Auf einmal fühle ich mich sehr einsam.
    Ich stehe eine Zeitlang einfach da und warte darauf, dass etwas passiert, doch wie immer, wenn man das tut, verändert sich überhaupt nichts. Mit einem Sonnenstich ist nicht zu spaßen, sagt Omi immer, also überlege ich, einen Krankenwagen zu rufen, finde in meinen Hosentaschen jedoch kein Kleingeld, überlege

Weitere Kostenlose Bücher