Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
neuesten Generation!“
„Das wäre mir doch längst aufgefallen“, erwiderte ich und starrte die Rosen an. Sie sahen völlig normal aus.
„Der schwarze Löffel“, sagte Strom-Tom, „da war irgendein Gift dran, das deine Wahrnehmung anscheinend gehörig durcheinandergewirbelt hat.“
„Na ja … mir war schon ziemlich schwindelig.“
„Siehst du? Außerdem neigt das menschliche Gehirn dazu, fehlende Information von selbst zu ergänzen. Damit das Gesamtbild konsistent ist. Du hast nichts gerochen, du hast nichts gespürt – also hat dein Gehirn diese Aufgabe übernommen und dich denken lassen, dass du etwas riechst und spürst.“
„Davon hab ich ja noch nie was gehört“, wandte ich ein.
„Lernt man während der Ausbildung“, entgegnete Strom-Tom knapp.
„Aber …“ Ich überlegte. „Aber das ist doch Unsinn. Ich meine, ich weiß doch, was real ist und was nicht.“
Ich griff nach einer der Rosen. Meine Hand glitt hindurch wie durch einen Sonnenstrahl. Ich versuchte es wieder und wieder, doch die Rosen waren einfach nicht greifbar. Genauso wenig wie die Stiefmütterchen, die Geranien, die Grashalme und der Schuppen. Das grüne Monster bewegte sich zwar, wenn ich es vor- und zurückschob, doch ich spürte absolut nichts unter meinen Fingern, als ich den Sicherheitsbügel herandrückte. Die Illusion war verflogen. Auch das metallene Ungetüm war eine Projektion. Ein Schatten, der sich bewegte, wenn ich mich bewegte. Mehr nicht.
„Der wird dich beruhigen“, rief Omi.
Ich sah zur Terrasse hinüber. „Sie ist ebenfalls Teil des Programms?“
„Die Systemanforderungen sind so gewaltig, dass für längere Dialoge wohl nicht genügend Speicher vorhanden ist“, erklärte Strom-Tom. „Dafür ist die Illumination hervorragend. Ich hab mal was darüber gelesen. Hätte nie geglaubt, dass es das wirklich gibt.“
„Was machen wir jetzt?“
„Wie der Chef gesagt hat: Wir kommen hier nicht mehr raus. Wir werden hier drinnen verrotten …“
„Aber wir sind doch auch reingekommen“, hielt ich dagegen. „Wenn es eine Tür hinein gibt, dann gibt es auch eine hinaus.“
„Ja“, entgegnete Strom-Tom nachdenklich. „Vielleicht hast du recht.“ Mein Magen kribbelte plötzlich und Strom-Tom rief: „Bestimmt sogar hast du recht! Der Raum ist zwar riesig, aber trotzdem muss er irgendwo ein Ende haben!“
„Okay“, sagte ich. In mir sprudelte neue Hoffnung empor. „Okay, das ist gut, das ist ein Plan! Wo finden wir dieses Ende?“
„Keine Ahnung. Lauf einfach los! Das Ende kommt dann schon von ganz allein!“
Ich lief die Straße hinunter, bog nach links und rannte in Richtung der Bahngleise. Anfangs lief ich noch auf dem Bürgersteig, irgendwann dann einfach nur noch geradeaus. Es gab ja ohnehin nichts, was mir im Weg stehen konnte. Alles war nur digital. Ich lief durch Zäune, Häuser, Autos und Flüsse. Ich schwitzte und schnaufte, doch das Ende wollte einfach nicht kommen.
„So groß kann der Raum doch gar nicht sein!“, keuchte ich, während ich müde durch einen Wald trottete.
„Rede nicht so viel!“, blaffte Strom-Tom. „Das gibt nur Seitenstiche.“
„Ich weiß …“, japste ich zurück. „Aber wir müssen irgendwas übersehen haben.“
Einige schlurfende Schritte lang schwieg Strom-Tom. „Du bist sicher, dass du nicht im Kreis läufst?“
„Bin ich.“
„Dann denk nicht so viel nach und spar dir die Luft fürs Laufen!“
Die dichten Baumreihen vor mir endeten und ausgedehnte Spargelfelder nahmen ihren Platz ein. Zu meiner Rechten schimmerte ein kleiner See im Sonnenschein. Auf dem Parkplatz davor stand ein weißer Bus. Ich kniff meine Augen zusammen und las die Aufschrift: Eis, Eis, lecker, lecker!
„Das ist die Eisfriedel!“, rief ich fassungslos. „Ich bin ganz bis zum Steinbrücker Teich gelaufen! Schon zum zweiten Mal heute!“
Strom-Tom reagiert recht gelassen auf meine Entdeckung. „Die Eisfriedel? Ich hätte wirklich Lust auf ein leckeres Zitroneneis.“
„Wie kannst du jetzt nur an Ei-“
Weiter kam ich nicht. Etwas Hartes schlug mir mit voller Wucht gegen Stirn, linke Hand und rechtes Knie. Benommen taumelte ich zurück. Mein Kopf pochte, doch ich war viel zu perplex, um Schmerzen zu empfinden. Verwirrt starrte ich die digitalen Spargelpflanzen an.
„Was ist los?“, fragte Strom-Tom.
Ich streckte meine unverletzte Hand aus und ging langsam vorwärts. Nach nicht einmal zwei Metern stieß ich gegen einen unsichtbaren Widerstand. Er war glatt,
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