Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
sehen können.
„Okaykay“, flüsterte Strom-Tom. „Dann schnell rüber zum Schuppen und nix wie rein in die Geheimtür.“
„Geheimklappe“, verbesserte ich, lief geduckt über die Wiese und hechtete mit einem Kopfsprung in das hohe Gras vorm Schuppen. Die Landung war weitaus härter, als ich erwartet hatte ,und presste mir die Luft aus den Lungen. Wimmernd vor Schmerzen rollte ich mich abwechselnd nach links und rechts. Abgesehen davon war es jedoch weiterhin still. Niemand hatte mich bemerkt.
Ich betrachtete das Halm-Dickicht um mich herum und keuchte: „Ach ja, übrigens … der Rasen ist wieder da.“
„Wie meinst du das?“, fragte Strom-Tom.
„Ich kann die Klappe nicht mehr sehen. Der Rasen ist nachgewachsen.“
„Wie kann das denn sein? Den hast du doch vorhin erst gemäht!“
Ich zuckte mit den Schultern, was einen glühenden Schmerz durch meinen Brustkorb jagte. „Ich kann‘s mir auch nicht erklären. Irgendwie wächst der in letzter Zeit immer sehr schnell nach.“
„Dann mähst du ihn halt noch mal weg!“
„Aber das hört Omi doch.“
„Hast du einen besseren Plan?“
Ich überlegte und sagte „Vielleicht …“, um Zeit zu gewinnen.
„Du hast überhaupt keinen Plan“, unterbrach Strom-Tom meine Bemühungen. „Also hör auf, dich hier im Dreck rumzuwälzen und mäh den Rasen noch mal!“
Ich stand auf, klopfte notdürftig meine Hose ab und ging zum metallenen Ungeheuer hinüber. Auch dieses Mal erwachte es auf Anhieb. Anscheinend hatte sich unser Verhältnis in den vergangenen Stunden erheblich verbessert.
„Und mäh mir schön ordentlich am Rasen entlang“, rief mir Omi zu. Sie war mit einem Tablett auf die Terrasse hinausgetreten. „Das letzte Mal hast du die ganzen Brennnesseln abgeschnitten.“
Ich reagierte nicht. Das war nicht meine Omi. Und selbst wenn sie es war, so konnte sie mich weder sehen noch hören. Also schob ich das schnaufende Scheusal zum hohen Gras hinüber und trieb es tief in das Halm-Dickicht hinein. Ein dicker Schweißtropfen glitt von meiner Stirn und zerplatzte auf dem Sicherheitsbügel. Ich sah hinab und blieb abrupt stehen. Weitere Schweißtropfen flogen im hohen Bogen davon, während ich mich etwa sechs Mal hintereinander hektisch umdrehte. Die Grashalme hinter mir waren genauso hoch wie alle anderen. Auch mehrmaliges Vergleichen änderte nichts an diesem Umstand.
„Es funktioniert nicht“, schrie ich gegen das Grollen des Monsters an.
„Was soll das jetzt schon wieder bedeuten?“, fragte Strom-Tom.
„Der Rasen …“ Ich schob das fauchende Ungetüm vor und zurück – die Grashalme blieben davon unberührt. „Ich kann den Rasen nicht mähen!“, rief ich mit einem Anflug von Panik. „Er wird einfach nicht kürzer!“
„Oh verdammt!“, stieß Strom-Tom hervor. Ich ließ vor Schreck den Sicherheitshebel los und das Scheusal verstummte sogleich.
„Der wird dich beruhigen!“, rief Omi in die neu entstandene Ruhe
„Hoffentlich ist es nicht das, was ich glaube, was es ist“, murmelte Strom-Tom vielsagend.
„Und was wäre das?“
„Ist da irgendwo eine Blume?“
Ich sah zu den Beeten hinüber. „Ja, klar. Überall.“
„Riech mal dran!“
Ich ging zu Omis Lieblings-Rosen, beugte mich vor und roch daran. „Und jetzt?“
„Wonach riechen die?“
Ich roch noch einmal an der Rose. Ich roch an einer anderen und dann an einer dritten. Ich atmete so tief ein, dass sich die Blütenblätter wölbten. „Eigentlich … nach nichts“, stellte ich erstaunt fest.
„Verdammt, verdammt, verdammt, wie konnten wir nur so blind sein?!“, rief Strom-Tom.
Ich betrachtete die duftlosen Rosen. Sie sahen völlig normal aus, und doch hatte ich plötzlich einen Kloß im Hals. „Was hat das zu bedeuten?“
„Wir brauchen uns gar nicht anzustrengen! Wir kommen sowieso nicht in die Geheimtür hinein! Das hat das bedeuten.“
„Aber wieso denn nicht? „
„Weil wir schon lange drin sind“, sagte Strom-Tom.
Es verstrichen einige lange Sekunden.
„Wo?“, fragte ich.
„In dem Raum mit den endlos vielen LCDs“, sagte Strom-Tom. „Der mit den Hologrammen. Der Bildschirmschoner-Raum, wie du ihn nennst. Wir waren nie draußen, verstehst du? Wir waren die ganze Zeit über in ein und demselben Raum!“
„Aber das … das kann doch gar nicht sein.“
„Und wie das sein kann! Deine Omi, der Garten, das Dorf, der Postbote, die Blumen – das alles ist nicht echt! Das ist ein gigantisches Computerprogramm mit LCD-Holos der
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