Von Liebe und Gift
in den Flur rannten. In dem Moment kam Neal aus dem Wohnzimmer geschlichen. Seine Augen waren glasig. Er blickte seine Schwester und Gero kurz an, dann ging er an ihnen vorbei ins Schlafzimmer und schließlich ins Bad. Sie hörten, wie er sich dort übergab.
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis Neal zu würgen aufhörte. Er war am Ende seiner Kräfte, doch immer wieder zogen sich seine Gedärme schmerzhaft zusammen und lösten einen quälenden Brechreiz aus.
„Neal? Willst du dich nicht lieber ins Bett legen?“, hörte er Gero sagen. Verschwommen nahm Neal seinen Freund wahr, der im Bad stand und ihn hilflos ansah.
„Lass mich, okay?“, kam es aus Neal heraus. Mit Mühe kam er wieder auf die Beine.
Doch sofort krampfte sich sein Magen zusammen, so dass er sich am Waschbecken festhalten musste. Seine freie Hand bohrte er in die Magengegend, als wolle er dem Schmerz entgegen wirken. Die Qual war unerträglich.
„Ich will dir doch nur helfen“, erklärte Gero. Er fasste Neal bei der Schulter, doch Neal drehte sich sofort weg.
„Ich brauche keine Hilfe“, sagte er. Ein Zittern durchfuhr seinen Körper. „Lass mich einfach alleine!“
Er krümmte sich und für einen kurzen Moment schien es, als würden seine eigenen Beine ihn nicht mehr halten wollen.
Gero war mehr als verzweifelt. Unsicher sah er Francis an, die ebenfalls ins Bad blickte.
„Was sollen wir tun? Den Notarzt rufen?“
„Nein!“, fuhr es aus Neal heraus, als er das hörte. Er atmete hektisch, und schließlich sank er erneut auf die Knie.
Gero verließ das Bad. Er konnte den Anblick seines Freundes nicht mehr ertragen.
„Es geht nicht!“, sagte er völlig aufgewühlt. „Wir müssen doch was tun!“
„Aaaaah!!!“ Neal schrie. Anders konnte er den Schmerz nicht mehr ertragen. In dem Moment war Gero alles egal. Er lief in den Flur und griff zum Telefon.
„Er schreit uns das ganze Haus zusammen“, sagte er, während er im Telefonbuch blätterte. „Ich rufe euren Hausarzt an …“
Doch dazu kam es nicht, denn Neal stand plötzlich wieder in der Schlafzimmertür und lenkte alle Blicke auf sich. Sein durchschwitztes T-Shirt zog er aus, so dass sein ausgemergelter Körper und die zerstochenen Arme zum Vorschein kamen.
Er begann sich an den Ellenbeugen zu kratzen, bis die Haut zu bluten anfing.
„Nicht kratzen!“, ermahnte Gero sofort ein. Das Telefon ließ er außer Acht. „Lass uns Hilfe holen, okay? Dann wird alles gut!“
Er lächelte sanft, versuchte, Neal zu beruhigen, doch es war zwecklos. Neal deutete zur Tür.
„Schließt mich ein und lasst mich alleine.“
„Was?“ Francis traute ihren Ohren nicht, doch Neal wiederholte seine Bitte energisch.
„Geht aus dem Zimmer! Schließt mich ein!“
„Aber …“, weiter kam Francis nicht. Ohne weitere Worte wurde sie von Gero aus dem Schlafzimmer gezogen. Der schloss die Tür und drehte den Schlüssel um. Schweiß stand auf seiner Stirn, doch sein Lächeln war ein wenig heldenhaft.
„So“, sagte Gero, „jetzt ist Schluss. Wir sollten ihn einschließen - bitte! Das kann er gerne haben!“
Er steckte den Schlüssel in seine Hosentasche, dann lehnte er sich erschöpft an die Wand.
„Es ist grausam“, jammerte Francis. Die Tränen standen noch immer in ihren Augen. „Ich habe noch nie so etwas Schlimmes erlebt.“
Gero nahm sie in den Arm. „Es nützt aber nichts“, sagte er. „Wir müssen da jetzt durch.“
Still standen sie einige Minuten vor der Tür. Das Stöhnen im Schlafzimmer hörte nicht auf, es kam sogar näher, bis sie Neal direkt hinter der Tür hörten.
„Gero?“, vernahm man seine Stimme.
Gero löste sich von Francis und trat vor die verschlossene Tür.
„Ja, was ist?“ Er war auf der Hut.
„Kannst du … kannst du Sam anrufen?“, bat Neal mit kraftloser Stimme.
Gero runzelte sofort die Stirn. „Sam? Wieso Sam?“
„Ruf Sam an!“, wiederholte Neal energisch. „Ich brauch was!“
Als er das hörte, atmete Gero tief durch. Mit einem derartigen Verlauf des Ganzen hatte er gerechnet.
„Du wolltest aufhören damit!“, erinnerte er.
„Aber ich brauch was!“, rief Neal lauter. „Es tut so weh, so sehr.“ Er stöhnte gequält. „Shit! Shit! Ich halte das nicht mehr aus!“
„Du musst!“, erwiderte Gero. „Du wolltest es so!“
„Ja, ich weiß.“ Neals Stimme hinter der Tür klang resignierend. Sie hörten seine Fingerkuppen, die leicht an der Tür kratzten. „Ich höre ja auch auf. Nur noch einen Schuss,
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