Von Liebe und Gift
geschwollener war, als am Abend zuvor, verzog sich abwertend. „Fang du nicht auch noch an! Die Schwestern nerven auch schon den ganzen Tag damit.“ Demonstrativ nahm er noch einen Zug und qualmte das ganze Zimmer voll. „Aber, was soll ich sonst machen?“ Er deutete in den kahlen Raum, der außer Fernseher und Telefon keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bot, nicht einmal bunte Bilder oder sonstige farbenfrohe Einrichtungen enthielt. „Ich drehe noch durch vor Langeweile.“ Er fasste mit der freien Hand nach Gero und zog diesen lächelnd zu sich heran. „Na, wenigstens bist du jetzt da.“ Sie versanken in einem innigen Kuss. Und obwohl Neal schmeckte, als hätte er den ganzen Vormittag nur geraucht und Kaffee konsumiert, genoss Gero die warmen, feuchten Liebkosungen. Während sie sich küssten, ging plötzlich die Tür auf, und eine Schwester kam herein.
„Können Sie nicht anklopfen?“, schrie Neal sofort los. Er warf die Zigarette aus dem Fenster, dann fasste er sich genervt an die Stirn, als könne er das ganze Szenarium um sich herum kaum aushalten.
„Ich muss Ihren Verband machen“, sagte die Schwester mit gedämpfter Stimme.
„Geht das nicht später?“, erwiderte Neal gereizt. „Sie sehen doch, dass ich Besuch habe!“
Gero, der vollstes Verständnis für den Tagesablauf in der Klinik hatte, lächelte die junge Schwester stattdessen freundlich an. „Sie machen ja nur Ihre Arbeit. Es geht sicher schnell, oder?“
Die Schwester nickte. „Ja, es gibt ja auch gleich Mittag.“ Sie legte das Verbandstablett auf den Nachtschrank und bereitete sich vor. Neal legte sich missmutig auf das Bett. „Den Fraß hier esse ich sowieso nicht!“, fauchte er weiterhin gereizt.
Gero sah beschämt zu Boden. Ihm war es sichtlich peinlich, wie ungewöhnlich aufbrausend sich Neal verhielt, doch er sagte nichts. Erst als die Schwester sich nicht dem Verband an Neals Stirn zuwandte, sondern dessen Arm freilegte und dort auch ein Verband zum Vorschein kam, wurde er neugierig.
„Was hast du denn am Arm?“, fragte er besorgt. Die Schwester wickelte die Mullbinde und die Tupfer ab. Darunter wurde eine klaffende Wunde sichtbar. Gero war sichtlich entsetzt. „Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“
Neal winkte sofort ab. „Ach, es ist doch nur ein Kratzer.“ Er verzog allerdings das Gesicht, als die Schwester die Wunde mit einer Lösung spülte.
„Das sieht nach einer Stichwunde aus“, stellte Gero fest. Er sah genau zu, wie die Schwester einen neuen Verband anlegte. Neal seufzte. Er sah ein, dass er seinem Freund davon erzählen musste. Ansonsten würde der wohl keine Ruhe geben.
„Als die Typen mich überfallen haben“, schilderte Neal, „hat einer von ihnen ein Messer gezogen. Als ich es ihm aus der Hand schlagen wollte, ging er damit auf mich los. Ich konnte gerade noch meinen Arm davorhalten, ansonsten hätte er mir wohl in den Bauch gestochen.“
Gero schluckte. Er war ziemlich blass geworden. Fassungslos schüttelte er den Kopf. „Das ist schrecklich. Kein Wunder, dass du solche Schmerzen hast. Der Oberarzt hat doch wirklich keine Ahnung!“ Erneut kam in Gero die Wut hoch, als er an das Gespräch mit dem Arzt dachte. Die Schwester war fertig und verließ das Zimmer. Sofort richtete sich Neal wieder auf. Sein Blick war nachdenklich geworden.
„Was hat der Arzt denn mit meinen Schmerzen zu tun?“
Gero setzte sich zu seinem Freund ans Bett und erzählte:
„Er glaubt nicht, dass du Schmerzen hast, weil du eigentlich genug Schmerzmittel bekommst.“
„Ach!“, zischte Neal sofort. „Dieses lasche Zeug, das hilft doch nicht.“ Demonstrativ rieb er sich die Schläfen.
„Er sagt auch, dass du unruhig bist“, fuhr Gero fort. „Stimmt das?“
Da drehte Neal seinen Kopf. Mit einem Mal sah er ganz entspannt aus, strich über Geros Wange und säuselte: „Ich bin so unruhig, weil ich dich vermisse.“ Er gab seinem Freund einen Kuss.
Aber Gero ließ sich nicht ablenken. Er hakte weiter nach: „Bist du wirklich unruhig? Geht es dir so schlecht hier?“
Neal verdrehte die Augen. Er wandte sich ab, stand auf und griff wieder nach dem silbernen Zigarettenetui, welches er von Gero geschenkt bekommen hatte. Dem offenen Fenster zugewandt, zündete er sich eine neue Zigarette an.
„Unruhig bin ich nicht“, sagte er, dabei führte er seine deutlich zitternde Hand mit der Zigarette zum Mund. „Aber ich habe Schmerzen. Und die überall. Ich brauche was anderes,
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