Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
gab weder Bilder noch sonst irgendwelchen Wandschmuck, die Wände selbst waren aber so abgeschabt, dass ich mich fragte, ob vielleicht regelmäßig irgendjemand mit hohen Absätzen darauf herumspazierte. Den Linoleum-Fußboden hätte man seit 1957 als zu altbacken für Sozialwohnungssiedlungen angesehen.
Soweit ich das beurteilen konnte, gab es auch keinen Fahrstuhl. Wir stapften eine breite Treppe hinauf– offenbar die französische Variante des Spießrutenlaufens. Der Aufstieg war endlos.
» Hier entlang.«
Unverkleidete Kabel liefen wirr an der Decke entlang. Sie mussten ein perfekter Brandherd sein. Ich folgte Berleand einen Flur entlang. Am Rand stand ein Mikrowellengerät auf dem Fußboden. Außerdem noch ein paar Tische mit Druckern, Monitoren und Computern.
» Ziehen Sie gerade um?«
» Nein.«
Er führte mich in eine Arrestzelle von etwa zwei mal zwei Metern. Es war die einzige. An den Stellen, wo man normalerweise Gitter erwartet hätte, war sie verglast. Zwei an der Wand angebrachte Bänke bildeten in der Ecke ein V. Die Matratzen waren dünn und blau und ähnelten verdächtig den Sportmatten, die wir früher in der Schule beim Ringen benutzt hatten. Darauf lag eine zusammengefaltete, abgewetzte Decke in dunklem Orange, die ein bisschen so aussah, als wäre sie vor langer Zeit von einer Fluggesellschaft aussortiert worden.
Berleand breitete die Arme aus wie ein Oberkellner, der mich im Maxim willkommen hieß.
» Wo ist Terese?«
Berleand zuckte die Achseln.
» Ich will einen Anwalt«, sagte ich.
» Und ich will zusammen mit Catherine Deneuve ein Schaumbad nehmen«, entgegnete er.
» Wollen Sie damit sagen, dass ich für die Befragung keinen Anwalt hinzuziehen darf?«
» So ist es. Sie können vorher mit einem reden, während der Befragung ist er jedoch nicht dabei. Und ich will ehrlich zu Ihnen sein. Wenn Sie einen Anwalt verlangen würden, sähe das so aus, als ob Sie schuldig wären. Außerdem würde ich dann schlechte Laune bekommen. Daher würde ich davon abraten. Aber machen Sie es sich doch erst einmal bequem.«
Er ging und ließ mich allein zurück. Ich versuchte, mir die ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen und keine übereilten Entscheidungen zu treffen.
Die Sportmatte war klebrig, und ich wollte nicht wissen, wovon. Ein ranziger Geruch lag in der Luft– diese widerliche Kombination aus kaltem Schweiß, Angst und, äh, Körperflüssigkeiten. Der Geruch stieg mir in die Nase und setzte sich darin fest. Eine Stunde verging. Ich hörte, wie jemand die Mikrowelle auf dem Flur anstellte. Ein Wärter brachte mir etwas zu essen. Dann verging eine weitere Stunde.
Als Berleand zurückkam, stand ich aufrecht und hatte mich an die einzige halbwegs saubere Stelle gelehnt, die ich an der Glaswand gefunden hatte.
» Ich darf wohl davon ausgehen, dass Sie eine angenehme Zeit hatten?«
» Das Essen«, sagte ich. » Ich hatte besseres Essen erwartet, denn schließlich ist dies doch immerhin ein Pariser Gefängnis und so.«
» Ich werde persönlich mit dem Koch darüber sprechen.«
Berleand schloss die Glastür auf. Ich folgte ihm den Flur entlang. Ich erwartete, dass er mich in ein Vernehmungszimmer brachte, das tat er aber nicht. Wir blieben vor einer Tür stehen, neben der ein kleines Schild mit der Aufschrift GROUPE BERLEAND hing. Ich sah ihn an.
» Ihr Vorname ist Groupe?«
» Finden Sie das witzig?«
Wir traten ein. Ich überlegte, dass Groupe wohl Gruppe heißen könnte, und der Anblick des Raums hinter der Tür schien das zu bestätigen. Sechs Schreibtische standen eng aneinandergedrängt in einem Zimmer, das man nicht einmal als geräumig hätte bezeichnen können, wenn nur ein einziger darin gestanden hätte. Wir mussten im obersten Stockwerk sein, da ein Großteil des Zimmers auch noch durch eine Dachschräge eingeengt wurde. Beim Eintreten musste ich mich kurz ducken.
Vier der sechs Schreibtische waren besetzt– wie ich annahm von weiteren Beamten der › Groupe Berleand‹. Es gab ein paar altmodische Computer-Monitore– alte Röhrengeräte, die fast den halben Schreibtisch einnahmen. Ein paar Familienfotos, Wimpel von Lieblingsmannschaften und Coke-Poster, einen Kalender mit heißen Frauen– die ganze Atmosphäre erinnerte weniger an eine hochrangige Abteilung in der Polizeipräfektur als vielmehr an das Hinterzimmer einer Autowerkstatt in Hoboken.
» Groupe Berleand«, sagte ich. » Dann sind Sie also der Boss.«
» Ich bin Capitaine der Brigade Criminelle. Das
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