Von Moerdern und anderen Menschen
mal durch, ick muß erst ma ‘n Bier trinken.»
«Steht noch ‘n halbet uff’n Kühlschrank», sagte Czapalla.
Wolfgang schlüpfte ins Haus. «Ick betrink ma schon nich.»
«Wie alt ist Ihr Wolfgang jetzt?» fragte Frau Jonas.
«Einundzwanzich.»
«Und so ‘n tüchtiger Junge – mit ‘ner Zwei ausgelernt. Daß der keine Arbeit mehr findet…»
«Tja…»
Frau Jonas war nicht mehr abzustellen. «Mein Mann sagt, sie stellen jetzt keine Setzer mehr ein, weil die Redakteure in Zukunft alles selbst in den Computer tippen müssen – ihr Text erscheint dann auf einem Bildschirm, und sie können ihn gleich wieder korrigieren.»
«Ja, ja, so wird’s wohl kommen.» Czapalla nickte.
«Wenn er doch bloß nicht immer diese Flugblätter verteilt hätte!» sagte Frau Jonas.
«Ja – ich muß dann wohl…» Czapalla machte eine entschuldigende Geste.
«Schönen Gruß noch an Ihre Frau. Die hat ja zum Glück ihre beiden Reinmachestellen noch – bei dem Rechtsanwalt da in Frohnau und dem Autohändler in… in…?»
«…in Reinickendorf, ja.»
«Na, man gut, sonst könnten Sie’s ja auch mit dem Haus hier nicht mehr schaffen. Wir haben ja sowieso gestaunt, wie Sie das alles…»
Wolfgang wollte seinem Vater zu Hilfe kommen und rief von drinnen: «Wo bleibste denn solange?»
«Ich muß dann wohl – mein Sohn…»
«Ja – ich komm dann später noch mal rüber, wenn Ihre Frau wieder da ist, Ihre neue Kellerbar ansehen.» Frau Jonas wandte sich endlich zum Gehen.
«Is jut, ja.» Czapallas Freude schien sich in Grenzen zu halten.
«Bis später dann…» Frau Jonas schaltete auf ‹Cheese› und ging dann.
«Wiedersehen, ja.» Czapalla drückte die Tür hinter sich zu und kehrte in die Küche zurück, wo sich inzwischen sein Sohn häuslich eingerichtet hatte.
Wolfgang setzte die Bierflasche ab. «Einschreiben? Von wem’n?»
«Vonna Vasicherung.» Czapalla riß den Brief auf.
«Wat is’n?» fragte Wolfgang, als er sah, wie sich Czapallas Miene allmählich verdüsterte.
«Scheiße!»
«Mußte zahln?»
«Fünftausenddreihundertzweiundzwanzig Mark…» stöhnte Czapalla.
«Mann!»
«Hier, lies mal:… lehnen die Erstattung der Reparaturkosten ab, da Sie grob fahrlässig gehandelt haben… »
«Wat mußteste dich denn ooch besoffen an’t Steua setzen!» rief Wolfgang.
«Die paar Gläsa bei Rudi da!»
«Jenau in den neuen BVG-Bus rin…»
«Wo wa schon nischt weita harn als Schulden», murmelte Czapalla.
«Hätten wa nich bauen solln», wandte Wolfgang ein.
«Hätten, hätten!»
Wolfgang stand auf. «Ick leg ma erstma uff’t Ohr – wenn de schläfst, vajißte det allet.»
Czapalla trank den Rest des Bieres aus. «Am liebsten würd ick Muttas Schlaftabletten schlucken – aba alle uff eenmal.»
Wolfgang hieb ihm auf die Schulter. «Mensch, solange de noch Arbeet hast, solange brauchste doch den Löffel noch nich abjebn. Bloß keene Panik!»
«Was für den Kölner der Dom, den Frankfurter der Römer oder den Münchener das Oktoberfest, ist für den Berliner seine U-Bahn. Auch wenn er nie oder doch nur selten mit ihr fahren sollte. Hier hat er was für sein übersteigertes Selbstwertgefühl: Sie ist die älteste, die längste und die bahnhofsreichste U-Bahn Deutschlands. Und eine Stadt mit solcher U-Bahn kann gar nicht anders: Sie muß wieder Hauptstadt werden!»
So spottete Hans-Jürgen Mannhardt, Kriminaloberkommissar und im Alter der unbewältigten midlife crisis, als er die Treppen zum Bahnhof Kurfürstendamm hinunterlief, und differenzierte dabei:
«Das gilt natürlich nur für die West-Berliner; die Ost-Berliner mit ihrem schäbigen Rest veralteter U-Bahn, die sind ja längst wieder Hauptstädter – Ost-Berlin ist ja immerhin die Hauptstadt des siebentgrößten Industrielandes der Erde.»
«Soll ich den Verfassungsschutz holen?» fragte Koch, sein Assistent, der neben ihm hertrabte und diese dienstliche Verrichtung gleich als morgendliches Training betrachtete; er war 400-m-Läufer, allerdings nur mit der Kraft für die erste Hälfte der Strecke.
«Ich hab doch bloß gesagt, daß ich nicht gern U-Bahn fahre; man kann nicht aus dem Fenster sehen und wird dauernd dumm angestarrt.»
«Und so voll wie in New York ist es auch nicht», fügte Koch hinzu; «nicht mal fummeln kann man richtig.»
«Früher, als wir noch kein Auto hatten, bin ich mit Lilo öfter mit der U-Bahn ins Kino gefahren – aber da gab’s ja die Linie hier noch gar nicht.»
Sich an ihre Hinterhofkindheit und -jugend
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