Von Moerdern und anderen Menschen
und stippte schon seit Stunden seine Angel in das grünlich schimmernde Wasser, das, wie man hierzulande sagte, allmählich zu blühen anfing. Die Sonne gewann schon an Kraft, und nur vereinzelt, im Schatten der Erlen und Weiden, zogen zartverwehte Nebelschleier übers rauhe Wasser.
Rudi konnte sich den Luxus dieses Morgens leisten; er hatte heute Spätschicht. Mit dem Rad war er nachher in drei Minuten zu Hause – Heiligensee, Bläßhuhnweg, 1000 Berlin 27. Aber ob’s heute für ‘n anständiges Mittagessen reichen würde? Noch hatte er nichts ordentliches gefangen. Er suchte in seiner Blechschachtel nach einem besonders fetten Regenwurm.
Er sah hoch. In einiger Entfernung zog ein Ausflugsdampfer vorüber, ein Motorschiff auf dem Rundkurs Tegel-Heiligensee und zurück. Die Stimme des Kapitäns hallte über das Wasser, vom Bordlautsprecher schaurig-dumpf verzerrt: «… am linken Ufer, hinter den Grenzbefestigungen, die Kirche von Nieder-Neuendorf. Rechts, in Berlin-West, der Ortsteil Heiligensee, erste Erwähnung als Dorf 1751. Die Havel weitet sich hier zum Nieder-Neuendorfer See. Geradeaus, in der DDR drüben, das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf…» Das Motorschiff entfernte sich schnell; die folgenden Sätze wurden immer stärker von Windböen zerrissen: «Wer in Heiligensee Kaffee trinken… hier kurz anlegen… Rückfahrt nach Tegel um…»
Wellen schwappten ans Ufer, und Rudi, der schnell seine Regenwürmer in Sicherheit bringen mußte, murmelte: «Arschlöcher die…!» Als er wieder aufsah, stand ein kräftiger Mann vor ihm, dessen märkisch-kantiger Bauernschädel nicht so recht zu seiner rockernahen schwarzen Lederjacke paßte: Walter Czapalla, 52, Maschinenschlosser aus Berlin (West) – Rudis Kollege bei der EUROMAG.
«Hallo, Rudi, Petri Heil!»
«Ich werd varückt – Czapalla, Deutschland! Ich denke, du liechst imma noch flach…?»
«Hab ick ooch – bis jestan. Wenn de erst ma an de Bandscheibe wat hast… Aba heute jeht et schon wieda. Eene Spritze nach der anderen – ick komm jrade wieda vom Medizinmann. Laufen, laufen – viel Bewegung.»
«Wie lange biste denn noch krankjeschriebn?» fragte Rudi teilnahmsvoll.
«‘ne Woche bestimmt noch.»
«Baeil da man; wenn wa die neuen Stahlwerksgebläse fertich harn, is erst ma wieda Ebbe.»
Czapalla hatte aufs Wasser hinausgesehen. «Paß uff, da hat eena anjebissn!»
Rudi holte die Angel ein. «Na, ma sehn…»
«Angelste imma hier?» fragte Czapalla.
«Imma, wenn ick Spätschicht habe. Mein Stammplatz hier. Is ja der einzige Steg noch – sonst is ja allet zujebaut.»
«Mann, ditt is ja ‘n halba Hai!» spottete Czapalla, als er Rudis Fang erblickte.
«Scheiße! Sowat muß wieda int Wassa zurück!» Der Fisch klatschte aufs Wasser. «Die Plötzen wer’n dieset Jahr ooch imma kleena…»
Czapalla gähnte. «Dann werd ick ma wieda – machs jut, Rudi!»
«Machs bessa.»
Czapalla verließ den Steg. «Nur Mut – vielleicht haste doch ma wieda wat Vanünftijet anne Angel, so ‘n richtich fetten Fisch…»
Das letzte Stück der Augsburger Straße, kurz vor ihrer Einmündung in die Joachimsthaler Straße und damit auch dem Kurfürstendamm, galt früher einmal als Berlins verrufenste Ecke, doch heute gab es hier statt preiswerter Mädchen preiswerte Kleider und daher täglich Schlachten um die freiwerdenden Parkplätze am Straßenrand.
So war es alles andere als ungewöhnlich, daß Klatt in dem Augenblick, da er seinen Wagen aufschloß, schon ungeduldig angehupt wurde. Ein heller Mercedes.
«Ja doch, ich fahr ja schon los – Sie könn gleich rein hier!» rief Klatt, doch in diesem Augenblick krachte der andere Wagen auch schon gegen seine hintere Stoßstange. «Idiot – der hat ja wohl ‘ne Meise!» Er lief nach hinten.
Aus dem Mercedes stieg ein junger Mann, Mitte der Zwanzig, der für sein Alter wie für sein Gesicht, Typ Fahndungsfoto, ein wenig zu elegant gekleidet war.
«Sieht’s schlimm aus?» fragte er.
Klatt besah sich den Schaden. «Meine Stoßstange… Total im Eimer.»
«Tut mir leid. Ich muß grad geträumt haben», sagte der Mercedes-Fahrer.
«Mittags?» schnauzte Klatt. «Dann bleiben Sie doch gleich im Bett!»
«Sieht ja wirklich übel aus. Links hinten hat er auch noch was abgekriegt… Der ganze Lack ab… Neuer Wagen?»
Klatt stutzte und war plötzlich nicht mehr aggressiv, sondern eher – wenn auch krampfhaft – heiter-besänftigend. «Ach, macht doch nichts! ‘s gibt Schlimmeres… Wollen
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