Von Namibia bis Südafrika
lief, und nachdem ich erfahren hatte, dass man gerade dabei sei, die Aussies zu pulverisieren, hielt ich die Zeit für reif, nach Sinn und Zweck einer zweigeteilten Bar lange Jahre nach Aufhebung der Apartheidgesetze zu fragen. Nun ja. Ich will Sie nicht mit Details langweilen. Meine Gesprächspartner hätten sich bei Nelson Mandela und Frederik W. de Klerk für ihre Bemühungen um den neuen südafrikanischen Staat jedenfalls nicht mit dem Friedensnobelpreis bedankt, sondern mit der Ochsenpeitsche. In der Bar von Brandvlei lag plötzlich Ärger in der Luft. Ich stellte zu viele Fragen, die nicht gestellt werden sollten, und mein Nasenbein hatte gute Chancen, ein paar Dellen mehr zu bekommen. Zum Glück pulverisierten Südafrikas Rugbyhelden in diesem Moment die Mannschaft von Down Under, so dass wir den kontrollierten Rückzug antreten konnten. In der Nacht schlief ich schlecht, denn mein Zimmer war stickig und moskitoverseucht. In den beiden Bars brüllten sich Schwarze wie Weiße getrennt voneinander den Frust von der Seele und vor der Tür schlich Jack Nicholson mit der Axt in der Hand herum. Mit schwerem Kopf hockte ich am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Stumm trat die Hotelbesitzerin heran, in der einen Hand die Kaffeekanne, in der anderen eine Spraydose mit Moskitotod. Damit sprühte sie in meine Tasse und schüttelte sieben tote Fliegen heraus. Mir wurde klar, meine Uhr in Brandvlei war abgelaufen.
Weiter ging es Richtung Südwesten und von Kilometer zu Kilometer wurde die Erde trockener, falls das überhaupt noch möglich war. Wir fuhren auf unserem Weg von Brandvlei über Loeriesfontein und Nieuwoudtville nach Vanrhynsdorp durch das große Nichts, genannt Upper Karoo. Diese Ecke der Welt wird anders als weite Teile der Kalahari weder vom Sommer- noch vom Winterregen berührt. Temperaturen zwischen 40 °C und 50 °C sind an der Tagesordnung. Trotzdem sah ich hier und dort ein paar Häuser, vor denen rostige Autos standen. Man könnte es für ganz schön bescheuert halten, sich gerade hier niederzulassen. Aber das ist es nicht. Auch ich spürte die ungeheure Anziehungskraft dieser Gegend, die so aussieht, wie ich mir die Welt vor ein paar Millionen Jahren vorstelle. Während unser Bus unbeirrt Kilometer fraß und ich, die Ellbogen auf das Lenkrad gestützt, die stille Landschaft bewunderte, packte mich die Lust, von unserer Route abzubiegen, 20, 50 oder 100 Kilometer in die Wüste hinein zu fahren, dort den Wagen abzustellen und den Schlüssel wegzuwerfen. Die Vorstellung, an einem Ort zu sein, von dem keiner weiß, vor allem nicht der deutsche Finanzminister, hat etwas unglaublich Verführerisches.
Vielen Menschen, die die Wüste bereisten, ging es ähnlich. Nach und nach verfielen sie der großen Leere. Fritz Mühlenweg, der im Jahr 1927 Sven Hedin auf seiner letzten Expedition von Baotou nach Ürümqi durch die Wüste Gobi begleitete, notierte in seinem Tagebuch: „Jetzt bin ich das dritte Mal in der mongolischen Wüste. Jedes Mal ist es noch schöner.“ Der britische Reiseschriftsteller Richard Grant schrieb in seinem Buch „Ghost Riders“: „Die Wüste erweckt im Menschen den Wunsch nach Mobilität auf einer instinktiven Ebene.“ Auch in „Der Englische Patient“ von Michael Ondaatje ist die Wüste ein zentrales Thema: „Ein Teil des menschlichen Bewusstseins passt sich der Wüste perfekt an“, schrieb Ondaatje. Alec Guinness sagt als beduinischer Stammesführer in „Lawrence von Arabien“ über Westler, die der Wüste verfallen: „Sie bringen einen großen Hunger nach einsamen Orten mit. Hier können sie ihn stillen.“ Und der deutsche Wüstenspezialist Bruno Baumann brachte es so auf den Punkt: „Wer aus der Wüste kommt, hat weniger Freunde. Weil ihn immer weniger Menschen verstehen können.“
Am Nachmittag erreichten wir Vanrhynsdorp, ein Städtchen an der Nationalstraße 7, die Kapstadt mit Namibia verbindet. Von August bis Oktober blühen hier mitten in der Wüste Millionen von Wildblumen und sorgen für ein farbenfrohes Bild. Den Rest der Zeit passiert nichts. Jetzt war gerade der Rest der Zeit. Aber ich war hier mit einem Mann verabredet, der einem außergewöhnlichen Beruf nachgeht: Kersten Paulsen ist Wildpflanzensammler mit der Spezialisierung auf Heilpflanzen. Jahr für Jahr fährt er auf der Suche nach seltenen Pflanzen und Kräutern bis zu 100 000 Kilometer durch Südafrika, Namibia und Lesotho. Kersten hatte zugesagt, mich in die Karoo zu begleiten, um mir die
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