Von Namibia bis Südafrika
Aber das war nicht das Schlimmste. Das kam, als die Räuber das Baby der Andrews mitnahmen. Zwar setzten sie es ein paar Straßen weiter aus, und eine Stunde später hielt die verzweifelte Mutter ihr Kind wieder im Arm, doch den Schock konnte sie nicht überwinden.
„In diesem Jahr sind wir schon dreimal überfallen worden“, sagte Julie. „Am liebsten würde ich nach Australien auswandern.“
„Was hindert euch?“, fragte ich.
„Die Regierung. Wir dürfen unser Geld nicht außer Landes bringen. Das war eines der ersten Gesetze des ANC. Dabei hatten wir nichts mit der Apartheid zu tun. Wir sind englischstämmig und lagen selbst mit den Buren im Clinch.“
In Reisemagazinen wird Südafrika gerne als Regenbogenstaat beschrieben, in dem im Schmelztiegel kosmopolitischer Kulturen rassistische Ressentiments abgelegt wurden und sich die Menschen ständig in die Arme fallen. Um das zu überprüfen, setzten wir uns zu Robert ins Auto und fuhren fünf Kilometer aus Knysna hinaus. Hinter einem Hügel, gut versteckt, erstreckte sich ein riesiges Township. Ich sah Abertausende Hütten aus Kartonage und Wellblech.
„Diesen Slum“, sagte Robert, „gab's vor zwei Jahren noch nicht. Dann siedelte die Regierung Menschen aus dem ehemaligen Homeland Transkei um: mitten hinein in die Garden Route, eine Hochburg der Weißen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Einige aus dem Township fanden Arbeit, doch die meisten haben nichts zu tun. Irgendwann werden sie sagen, Schluss mit der Ungerechtigkeit, wir holen uns, was wir brauchen. Dann herrschen hier Verhältnisse wie in Jo'burg. Doch darüber wirst du nichts in den Hochglanzmagazinen lesen.“
Wir fuhren weiter. Golfplätze wechselten sich mit Jachthäfen ab und der Outeniqua Choo-Tjoe Train, eine historische Dampfeisenbahn, brachte austernhungrige Touristen. Alles sah friedlich aus. Am Horizont lockten die verwunschenen Wälder des Tsitsikamma Forest mit riesigen Yellowwood- und Stinkwoodbäumen. Ja, hier hatte Gott beim Erschaffen gute Laune gehabt. Ob sie anhalten wird angesichts des Umgangs der Menschen miteinander? Schließlich ist nach Nelson Mandelas politischem Rückzug Schluss mit dem Dialog zwischen den Kulturen. Schade, denn Südafrika könnte wirklich das Vorbild für einen funktionierenden Vielvölkerstaat sein.
Nach einem letzten Spaziergang durch das Knysna der Weißen hieß es Abschied nehmen. Bevor Julie mich zu mehr Austern und Beate zur anschließenden Foto-Session bitten konnte, bestiegen wir den Bus und fuhren zurück nach Kapstadt.
8. Von Stellenbosch über Peddie ins KwaZulu-Natal
Eine Autostunde von Kapstadt entfernt liegt das Winzerstädtchen Stellenbosch. Wer dort hinkommt, glaubt, es habe ihn nach Frankreich verschlagen – nach Burgund oder Bordeaux. Schon 1679 ließen sich französische Weinbauern in diesem fruchtbaren Tal nieder. Von hohen Bergen vor kalten Atlantikwinden geschützt, bauten sie einen Wein an, der schnell zu den besten der Welt gehörte. Dann kam die Reblausplage und danach war es Essig mit dem Weinanbau, und das im sprichwörtlichsten Sinne. Französische Hugenotten, die auf der Flucht vor Ludwig XIV. ebenfalls nach Südafrika gelangten, fingen von vorne an und kultivierten widerstandsfähigere Sorten wie Chardonnay, Pinot Noir und Merlot. Seither ist die Region um Stellenbosch, Paarl und Franschhoek ein Paradies für alle, denen das Plopp eines Korkens, der aus der Flasche springt, Musik in den Ohren ist. Zu diesen Leuten gehöre ich, aber das war nicht der Grund, weshalb ich unseren Bus durch die rebenumrankten Straßen dieser grandiosen Landschaft steuerte. Ringsum umgaben uns bizarre Felsformationen, unter ihnen der Paarl, ein Berg in der Form einer Perle, zumindest wenn man ein wenig Fantasie mitbringt. Paarl ist die Heimat von Afrikaans, dieser Kunstsprache aus Niederländisch vermischt mit Wortbrocken verschiedenster Dialekte einheimischer Völker. In Paarl wurde die Bibel ins Afrikaans übersetzt und wie so oft in der Welt war diese Übersetzung der erste Schritt zum Identitätsverlust der Einheimischen. Außerdem stehen hier die fünf größten Weinfässer dieser Erde, vor denen Besucher sich so klein fühlen, dass auch das zur Identitätskrise führen kann.
Die ideale Lage zum Anbau von Wein ist zugleich die ideale Lage zur Kultivierung von Heilpflanzen. So war es kein Wunder, in dieser idyllischen Gegend auf Uli Feiter zu treffen, der auf seiner Farm Parceval Heilpflanzen anbaut und verarbeitet. Der Erfolg ließ
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