Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
hoffen, dass sich die Menschen nur das merkten, was sie ihnen erzählten. Nun hatte mit Luther jemand das Kleingedruckte gelesen, die wahrlich langen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, um in den Himmel zu kommen.
Für ihn war die Kirche absolut auf dem Holzweg. Als er seine Kritik, insbesondere die gegen den Ablasshandel, an die Kirchentür der Schlosskirche in Wittenberg nagelte, hätte er eigentlich seine komplette Bibel aufhängen können, aber er reduzierte seine Deutung der dicken Schwarte auf 95 Postings, wie man sie heute bei Facebook oder Twitter in die Welt schickt. Dieser Tag geht als Reformationstag in die Geschichte ein.
Luthers Analyse der kirchlichen Schwächen zeigt auch jene Gründlichkeit, die bald Markenzeichen der Deutschen werden soll: Der Ablasshandel fällt bei ihm völlig durch, alles falsch, Sünden können nicht gegen Geld vergeben werden, schon gar nicht von Menschen. Nur Gott kann vergeben, und der braucht bekanntlich kein Geld. Es sei genau anders herum, als dieser Tetzel das darstellte. Das Leben sollte nach einer von Luthers angenagelten Thesen eine einzige lange Buße sein. Jesu Wort «Tut Buße» bezog sich nicht auf zwanzig Minuten pro Tag, meinte kein moralisches Workout, sondern eine Daueraufgabe, die man bis zu seinem Tod nicht erledigen konnte. Mit dieser Deutung legte Luther, der eigentlich selbst ein Lustmensch war, den Grundstein für jene berühmte Lustfeindlichkeit, die alsbald Protestanten in aller Welt auszeichnen sollte. Tanzen, Vergnügungen? Über einen Witz lachen? Alles, was irgendwie Spaß macht, steht bei einigen Hardcore-Protestanten bis heute im Verdacht, das Gegenteil von Buße zu sein.
Bald spaltete sich die Kirche, Luther und seine Anhänger wurden verfolgt – dass Wittenberg einmal den Beinamen «Lutherstadt» tragen würde, hätten wohl damals selbst die optimistischen Mitglieder des Protestantenclubs nicht für möglich gehalten.
Manche Interpretation seiner Forderungen ging Luther im Nachhinein sicher zu weit: Seine Ansicht, zwischen Gott und dem Menschen solle kein Priester mehr als Übersetzer stehen, wurde z.B. von einigen dahingehend gedeutet, dass jeder sein Glaubensritual selber inszenieren könne: Einige tauften sich plötzlich gegenseitig im Fluss (Wiedertäufer), andere schwärmten von der Abschaffung des Privateigentums oder der freien Liebe – manches erinnert an die Hippierevolution ein paar Jahrhunderte später. Doch welche Ausprägung die Einzelnen auch lebten, verfolgt wurden sie alle.
Wie ein Puzzleteil ins andere passt insofern die dritte Sensation der Neuzeit zu diesen Entwicklungen: Dank der Entdeckung Amerikas konnten alle Lutherfans, die nun als Protestanten gejagt und drangsaliert wurden, einfach sagen: «Dann gehe ich halt woandershin, wo es besser ist, und fange von neuem an.» Neu anfangen, das ging erst mit der Neuen Welt.
Auch heute noch gibt es in den USA viele evangelische Freikirchen und die lutherische Idee, das Leben solle eine einzige Buße sein, ist dort nach wie vor lebendig. Wie bei jeder Obsession gewinnen die Obsessivsten die Show. So spalten sich von den Mennoniten noch mal die Amish People (auf Deutsch: die Amischen) ab, die sich bis heute jeglichen Komfort wie Autos oder anderen technischen Schnickschnack versagen. Wie in einem amerikanischen Heimatfilm tragen sie Kleidung, wie sie auch ihre Vorfahren bei der Einwanderung trugen, und benutzen Kutschen statt Autos.
Doch auch innerhalb der Amish People gibt es, für den Außenseiter unsichtbar, einen Wettbewerb um die radikalste Buße. Kutsche, okay, aber einige verweichlichte Amische erlauben sich eine Gummibereifung auf deren Rädern! Wahrscheinlich, um so eine besonders komfortable Fahrt genießen zu können. Soll das eine anständige Buße sein? Nein, das ist Luxus! Nur auf metallbeschlagenen Holzrädern wird jedes Schlagloch zur wahren Buße.
Halloween – die bessere Party
Inzwischen ist der Streit zwischen Katholiken und Protestanten fast überall Geschichte, zum Glück gibt es einen neuen, gemeinsamen Feind – nicht den Islam, schlimmer: Halloween. Wenn sich Ende Oktober Kinder als Hexen, Zauberer und Gruselwesen verkleiden, steht die Christenheit wie ein Mann auf und protestiert: Ein Kommerzfest aus den USA sei Halloween. Ich frage mich: Wer profitiert denn von Halloween? Die Kürbisindustrie? Die paar Anbieter von Kostüm- und speziellen Halloween-Equipment kann man vernachlässigen, schaut man sich das eine, echte Kommerzfest an: das der
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