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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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ablaufen müssen, um einen Text zu schreiben? Oder was in unserem Unbewussten verborgen liegt? All diese Kenntnisse und Steuerungsmechanismen, die wir brauchen, um als Menschen zu funktionieren, die uns aber nicht bewusst werden, das ist das implizite Wissen.
    Dann gibt es noch einen dritten Bereich, das bildhafte Wissen. Es umfasst unser Vorstellungsvermögen genauso wie unser Erinnerungsvermögen an Bilder. Aber auch die eigenen Erlebnisse werden teilweise bildhaft festgehalten. Wie Goyas Bilder in einem äußeren Museum, so befanden sich meine eigenen Schreckensbilder in einem inneren Museum. Ich fragte mich, wie viele Erinnerungsbilder wir wohl in uns tragen, und beschloss, den kanadischen Psychologen Endel Tulving anzurufen, der das bildhafte oder episodische Gedächtnis (Episoden sind aufeinanderfolgende Bilder) erstmals wissenschaftlich untersucht hat. Von ihm wollte ich wissen, wie groß eigentlich unser „inneres Museum“ ist.
    „Ein gute Frage. Ich habe keine Ahnung, zu welcher Anzahl von inneren Bildern wir Zugang haben“, antwortete Tulving auf meine Frage, ermunterte mich jedoch, ihr weiter nachzugehen. 15 Diplomanden und Doktoranden von der Universität Innsbruck sowie weitere in Kenia, Korea und Deutschland begannen zunächst einmal mit ihren eigenen Erinnerungsbildern, um mit dem Prinzip der Introspektion vertraut zu werden, der Selbstbeobachtung. Dann forderten sie ihre Probanden auf, mit demselben Verfahren ihre inneren Bilder zu beschreiben. Anschließend betrachteten wir die inneren Bilder genauer, charakterisierten und analysierten sie. Wir untersuchten die Ursachen ihrer Einspeicherung und versuchten zu beantworten, ob sich die einmal eingespeicherten Bilder im Laufe des Lebens konstant verhalten oder sich verändern. So wurde aus einem sehr persönlichen Vergleich zwischen äußeren Bildern (Goya im Prado) und inneren Bildern (den Kindheitserinnerungen) ein Forschungsprojekt.
    Das bildhafte Gedächtnis stellt einen unglaublich kräftigen Motor für kreative Leistungen dar. Wenn es aktiv und lebendig ist (worauf wir Einfluss haben, was wir gleich noch sehen werden), können wir die äußeren Bilder, denen wir täglich begegnen, viel genauer in jeweiligen „Rahmen“ einordnen und werden auf diese Weise überhaupt erst zu Kreativität angeregt. Ein Beispiel: Ein Kunsthistoriker, der einen furchtbaren Autounfall überlebt hatte, meinte einmal, Goyas Schreckensbilder könne man nur verstehen, wenn man selbst ein Trauma erlitten habe. Ein Rahmen, der bei mir gegeben war. Hinzu kam, dass ich mich zu dem Zeitpunkt bereits mit bildhaften Wissensformen beschäftigte und daher erkennen konnte, dass wir ein inneres Museum in uns tragen. Ein damals zwar bereits entdecktes Phänomen, an das sich aber noch viele offene Fragen knüpften. Das ist der zweite Rahmen, den ich mit dem ersten kreativ verknüpfen konnte, was dann schließlich eine neue Forschungsrichtung mündete.
    Wir konnten einige fundamentale Erkenntnisse über das episodische Gedächtnis gewinnen. Diese beziehen sich erstens auf das Prozedere der Introspektion und zweitens auf die Anzahl der zutage beförderten Bilder. Beginnen wir mit der Introspektion, dem verbalen Bericht über die Vorgänge im eigenen Geist, unsere Innenschau. Sie ist die einzige Möglichkeit, die eigenen inneren Bilder zu kommunizieren. Versuchen Sie es einmal selbst: Schließen Sie die Augen und holen Sie sich den gestrigen Tag vor Ihr geistiges Auge. Zunächst wird der „Bildschirm“ grau sein, doch irgendwann formiert sich das erste Bild. Schauen Sie es sich genau an. Wo befinden Sie sich? Blicken Sie aus Ihren Augen auf das Bild, oder sind Sie selbst Teil von ihm? Wie fühlen Sie sich dabei? Oft ist das eine Bild der Türöffner für das nächste.
    Wenn Sie die Introspektion konzentriert betreiben, werden Sie sich nach einer halben Stunde der Zeitreise in die eigene Vergangenheit erschöpft, aber gleichzeitig auch erlöst fühlen, ähnlich dem Zustand nach längerem Meditieren. Die Introspektion ist daher eine gute Möglichkeit, einen Tag abzuschließen.
    Kommen wir zum zweiten Punkt. Bald werden Sie bemerken, dass Sie nur relativ wenige Bilder aufrufen können. Wer den gestrigen Tag betrachtet, erinnert sich manchmal nur an fünf Bilder und ganz selten an mehr als 30. Das Gleiche gilt für die vergangene Woche, lässt man den gestrigen Tag einmal außer Acht: Auch hier können nur wenige Bilder in einer ähnlichen Spannbreite aktiv aufgerufen werden. Wenn wir

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