Von Natur aus kreativ
Manuskript mehr. Diese Technik ist übrigens nicht neu. Sie war schon immer Teil der Gedächtniskunst, von den antiken Philosophen und Rhetorikern bis hin zu Thomas von Aquin, der sie großen Predigern beibrachte, ob es nun Benediktiner oder Dominikaner waren.
Pöppel: Ein ganz entscheidender Faktor der Kreativität ist immer auch der Mut.
Burda: Mut ist nötig, um etwas ins Werk zu setzen. Das Bild, das ich dann im Kopf habe, ist das Überqueren des Flusses. Ich weiß, ich muss zum anderen Ufer, doch oft kenne ich die Gefahren nicht, die inmitten dieser Passage liegen. Freud hat einmal gesagt: „Navigare necesse est.“ Vielleicht war das einmal das Motto der Seefahrer der Hanse. Für mich ist es der Sinnspruch des Aufbrechens zu neuen Ufern. Dazu höre ich morgens immer Musik, dann Schubert oder Bob Dylan. Beim einen „Early Morning Rain“, beim anderen „Am frischgeschnittenen Wanderstab“.
Pöppel: Gefühle sind ebenfalls ein wichtiger Motor für die Kreativität. Wie sieht es bei dir damit aus? Welche Gefühle treiben dich an?
Burda: Als ich vor 40 Jahren in das väterliche Unternehmen ging, waren wir hauptsächlich in einer kleinen Stadt tätig. Ich habe sehr früh kennengelernt, wie exponiert man in einer Familie mit großem wirtschaftlichen Erfolg ist. Das spürten meine Eltern ja nicht. Die Aggression ließ man an den Kindern aus. Ob es die Lehrer waren, in den Pausen auf dem Schulhof, die Rivalität der Gleichaltrigen. Aber das hat auch seine Vorteile. Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Das Gefühl, das dich antreibt, heißt dann: Ich zeige es euch. Interessant, dass die zehn größten deutschen Familienunternehmen in kleineren Städten entstanden sind. Ob es das Gütersloh von Bertelsmann oder das Künzelsau eines so herausragenden Unternehmens wie der Würth-Gruppe ist.
Pöppel: Es gibt drei Grundmotivationen: Macht, Leistung und soziale Teilhabe.
Burda: Bei mir ist es ganz stark der Wunsch, Leistung zu erbringen. In meinem Freundeskreis gibt es viele, die außergewöhnliche Leistungen vollbracht haben, von Franz Beckenbauer über Willy Bogner bis hin zu Markus Wasmeier. Das treibt mich an.
Der Terror der Wahrheit
Was unser Selbst mit Kreativität zu tun hat
Wir sind es selbst, die unsere Identität zusammenschustern, ihr neue Versatzstücke hinzufügen oder für ihre Kontinuität sorgen. Dabei kann sogar das Lügen behilflich sein und zum Überlebensprinzip werden. Die Lüge gibt uns auf besondere Art und Weise Aufschluss über das Wesen und den Sinn von Kreativität.
An seine Kindheit denkt Markus nicht gerne zurück. Die um sich selbst kreisende Mutter, die nur die eigenen Bedürfnisse im Blick hatte, der Vater, der sich schon früh nach anderen Frauen umsah. Der Streit der Eltern, in dem Worte zu Giftpfeilen wurden, schließlich der große Knall und der Auszug des Vaters. Die darüber verbitterte Mutter, die bei jeder Gelegenheit mit dem Jungen schimpfte. Wenn ihr neuer Freund Zeit hatte, ließ sie alles stehen und liegen, um zu ihm zu eilen. Markus störte bloß und wurde auf ein Internat geschickt, in dem er auch die Wochenenden und Ferien verbringen musste. „Ich war einsam, und das war mir vor meinen Klassenkameraden peinlich. So ließ ich niemanden merken, dass ich im Internat bleiben musste, wenn die anderen heimfuhren. Wenn sie wiederkamen, erfand ich tolle Erlebnisse von zu Hause. Vielleicht hat damals alles angefangen.“
Der kleine Junge machte die positive Erfahrung, dass er mit den erfundenen Geschichten gut bei seinen Klassenkameraden ankam. Der Erfolg führte in dieser für Markus prägenden Phase zu einem effektiven Lernen, zur Beibehaltung und Optimierung der Strategie, mit Fiktionen zu punkten. 50 Lebens- und 40 Ehejahre später hatten die Schattenseiten dieser einst so erfolgreichen Strategie Markus’ Leben verdunkelt. Er hatte sich in ein Geflecht ausLügen und Fehlentscheidungen verstrickt. Der kleine Markus war zu einem polygamen Baron Münchhausen geworden, der seine Fähigkeit zur eleganten Lüge eingebüßt hatte. Über Jahrzehnte war es ihm noch gelungen, die Kontrolle über seine Geschichten zu bewahren, indem er verschiedene Lebensbereiche fein säuberlich voneinander getrennt hielt. Im Freundes- und Familienkreis bewegte er sich mit seiner Ehefrau. In einem freiberuflichen Bereich hatte er eine Dauerfreundin. An seinem festangestellten Arbeitsplatz gab es immer mal wieder die eine oder andere Sekretärin als Geliebte. Kritisch waren die
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