Von Natur aus kreativ
Vergangenheit nicht mehr möglich ist, sich selbst wiederzufinden, die eigene Identität zu konstruieren.
In diesem Kapitel haben wir eine mächtige Maschinerie der Kreativität kennengelernt. „Ex nihilo nihil fit“ – aus dem Nichts kommt nichts. Auch Kreativität kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist eine Verknüpfung des schon Dagewesenen mit neuen oder auch alten Gedächtnisinhalten. Um kreativ sein zu können, sollten wir deshalb am besten jeden Tag unser Gedächtnis „aufladen“ und unsere historische Präsenzzeit wachhalten. Dafür bieten sich abendliche Zeitreisen in den vergangenen Tag an. Wenn Sie jeden Abend eine Introspektion vornehmen, bleiben Ihre Erinnerungen lebendig. Damit erhalten Sie viel „Material“ aus Ihrer Vergangenheit, das Sie kreativ mit neuen Eindrücken verknüpfen können.
Einen Zugang zu Ihrem Inneren erhalten Sie übrigens auch mit einem Schluck Wein. Damit öffnen sich manchmal andere Wissensfelder Ihrer Persönlichkeit, und Sie bekommen einen kleinen Zugriff auf das, was Freud das Unbewusste genannt hat. Wir erleben diesen Zugriff auch in Träumen. Legen Sie ein Notizbuch neben Ihr Bett und notieren Sie kurz nach dem Aufwachen die kreativen Gedanken, die Ihnen im Traum gekommen sind. Da das Gedächtnis beim Träumen abgeschaltet ist und Sie die Träume schnell wieder vergessen, müssen Sie sich beeilen, sie festzuhalten. Auch Tagträume sind eine Möglichkeit, die Phantasie wandern zu lassen und die in uns schlummernde Kreativität anzuzapfen. Denn auch Tagträume greifen auf die inneren Bilder des episodischen Gedächtnisses zurück.
Wie jemand nun bewusst sein bildhaftes Gedächtnis einsetzt, um kreativ zu werden, zeigt Ihnen nun der Verleger Hubert Burda im Gespräch mit den beiden Autoren.
Man muss sich aus seinem Kasten herausdenken
Ein Gespräch mit Hubert Burda
Reich und berühmt geworden ist er mit Zeitschriften. Freundin, Bunte, Focus, Super Illu, Mein schöner Garten, Bambi – das sind seine Kinder. Und doch ist er niemand, der nur in eine Richtung denkt, wie er von sich sagt, sondern immer sprunghaft: „Andere bringt’s zur Verzweiflung!“ Für uns, die wir Professor Hubert Burda in seinem Verlagsimperium in München besuchten, führte diese Eigenschaft zu einem kurzweiligen Gespräch, das er dann ebenso abrupt beendete, wie er zuvor die Themen gewechselt hatte. „So ist er“, sagte Ernst Pöppel, der seit vielen Jahren mit dem Verleger befreundet ist.
Pöppel: Hubert, wir wollen heute mit dir über Kreativität reden, eine Eigenschaft, die du brauchst, um Nachhaltigkeit im Verlag zu erzeugen. Wie tritt dir deine Kreativität gegenüber?
Burda: Mir kommt es oft so vor, als würde ich beim Denken spüren, dass ich zwei Hirnhälften habe. Die eine – das beginnt meist schon um fünf Uhr morgens – ist kreativ, findet überraschende und neue Lösungen. Die andere überprüft sofort, wie sie sich realisieren lassen, mit welchen Menschen und wie viel Geld man dafür benötigt. Jeder große Unternehmer muss kreativ sein, sonst bleibt er inmitten seines Tätigkeitsfeldes hängen. Er muss in der Lage sein, weit über seinen Kasten hinauszudenken. Wenn ich immer nur in Zeitschriften denken würde, wäre ich bald weg. Deshalb muss ich sprunghaft, poetisch, assoziativ sein. Diese Eigenschaften bezeichnet man als „disruptiv“. Ich habe zwei Denkbereiche in meinem Kopf. Einmal das Gesetzmäßige und dann das Disruptive.
Wagner: Zu welchen Ergebnissen kommen Sie mit dem disruptiven Denken?
B urda: Sprunghaft denken heißt, sich aus den bestehenden Kategorien herauszudenken. Ein Beispiel: Das traditionelle Print-Verlegen wird heute ersetzt oder ergänzt durch das Internet. BurdaStyle zum Beispiel ist eine der größten internationalen Marken. Wenn Sie auf Pinterest.com gehen, eine Online-Pinwand, auf der jeder das posten darf, was ihm gefällt, dann werden Sie dort zu Ihrer Überraschung feststellen, dass Hunderttausende weltweit ihr selbstgemachtes Kleid einstellen. Die Links davon führen fast immer zu Schnittmustern auf BurdaStyle.com. Weil ich es liebe, sprunghaft zu denken, ist mir von allen Kunstgattungen die Lyrik am nächsten. Lyrik ist sprunghaftes Denken in Bildern. Und ich habe ein Bildhirn. Wenn ich zum Beispiel eine Rede halte, dann präge ich mir den Saal genau ein und verbinde mit seinen architektonischen Raumelementen jeweils ein inneres Bild aus dem Vortrag. Beim Reden spreche ich dann entlang dieser inneren Bilder und brauche kein
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