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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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diesen Dichter, in ihrer Erinnerung untrennbar verbunden mit Ingeborg Bachmanns „Anrufung des Großen Bären“ (1956), wahrscheinlich wegen der Tiermetaphern. Unzählig viele Gedichte und Essays, Romane, Kinderbücher, Biografien hat Enzensberger seitdem geschrieben, er interessiert sich außerdem für Mathematik, hat einen Verlag und eine Buchreihe gegründet. Sein Schaffensdrang lässt ihn sogar unter Pseudonymen weiterschreiben. „Unter einem Frauennamen kann ich Bücher aus einer anderen Perspektive schreiben als unter meinem eigenen“, sagt er. So freuen wir uns aus unterschiedlichen Gründen auf diese Begegnung. Beatrice Wagner, weil sie brennend neugierig auf den Schöpfer all dieser Werke ist, und Ernst Pöppel vor allem auch aus freundschaftlichen Gefühlen. Und beide sind wir auf ein anregendes Gespräch gespannt.
    Wagner: Herr Enzensberger, Sie sind kreativ. Aber was ist das eigentlich?
    Enzensberger: Niemand weiß genau, was das bedeutet. Das ist genauso ein heikles Wort, kernprägnant und randunscharf, wie „Intelligenz“. Ich habe mich mit Fragen der IQ-Messung beschäftigt. Die Quantifizierung des IQ ist schwierig. Wir sind einfach nicht intelligent genug, um zu wissen, was Intelligenz ist. Als weitere Falle kommt die Subjektivität hinzu. Intelligenztests messen das, was der Tester darunter versteht. Ein Indio aus dem Amazonas wird dabei ebenso schlecht abschneiden wie umgekehrt ein Psychologe, wenn er sich im Regenwald einer Prüfung seiner Fähigkeiten unterzieht.
    Pöppel: Der Bezugsrahmen für die Intelligenz genauso wie der für die Kreativität ist ein biologischer. Innerhalb des Rahmens bestimmen Mutation undSelektion, in welchen Bereichen sich Intelligenz und Kreativität entfalten. Es sind also retrospektive Betrachtungen der Natur. Wir können im Nachhinein sagen, ob etwas besonders intelligent oder besonders kreativ war.
    Enzensberger: Die Evolution hat eine enorme Mannigfaltigkeit hervorgebracht und immer neue Problemlösungen entwickelt. Schlupfwespen, damit habe ich mich neulich erst beschäftigt, sind äußerst artenreich. Einige von ihnen sind nicht nur einfache Parasiten, sondern sogar Metaparasiten, sie pfropfen sich auf andere Schlupfwespen auf. Aber die Evolution hat einen langen Atem. Nur unsere Spezies ist ungeduldig. Deshalb haben wir die Wissenschaft erfunden. Ich bin kein Forscher, sondern eher ein Wissenschaftsparasit. Ich mache mir das zunutze, was andere entdecken.
    Wagner: Und wenn Sie das gerade mal nicht tun, wie würden Sie Ihren Beruf bezeichnen?
    Enzensberger (holt ein Buch hervor): Hier ist ein herrliches Produkt der Bundesanstalt für Arbeit von 1990. Nach dem Ermessen dieser Anstalt würde man mich als Dichter bezeichnen. Dabei stehen folgende Varianten zur Auswahl: „Dichter, schnell-“, „Dichter, Stegreif-“, „Dichter, Text-“, und „Dichter, siehe Abdichter“, aber Letzteres trifft auf mich nicht zu. Die Bürokratie kennt rund 24.000 Berufsbezeichnungen. Diese Artenvielfalt ist enorm. Darüber könnte man einmal ein Gedicht schreiben.
    Wagner: Über unser Vokabular.
    Enzensberger: Ja. Denken Sie nur an das reiche Wortfeld, das wir benötigen, um uns über die Dummheit zu verständigen. Zwischen dem Tölpel, dem Schwachsinnigen, dem Trottel liegen Welten! Ganz zu schweigen von der heiligen Einfalt. Dass sich all die Wörter gebildet haben, ist allein schon ein Beweis für unsere Kreativität. Sie ist etwas Alltägliches. Die Vorstellung, dass es sich um etwas Erhabenes handelt, sollte man sich abschminken.
    Pöppel: Das Wort Kreativität ist nur in unserem Kulturkreis mit etwas Positivem behaftet. In China hingegen gilt Kreativität als negativ, als Kennzeichen eines Querulanten.
    E nzensberger: Auch der Westen ist erst seit dem 18. Jahrhundert von der fixen Idee besessen, der Kreative müsse originell sein. Davor galt: Kunst kommt von Können. Kunst wurde wie ein Handwerk gelernt. Heute bilden sich Künstler etwas darauf ein, etwas hervorzubringen, was noch niemand vor ihnen gemacht hat. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass es sich um einen blödsinnigen Einfall handelt.
    Pöppel: Etwas Neues zu kombinieren ist ein einfaches Verfahren. Wir haben viele verschiedene Module im Gehirn. Wenn alles mit allem kombiniert wird, haben wir mehr Neues, als wir verkraften können. Die kreative Leistung des Gehirns resultiert also nicht nur aus der Erinnerung, sondern aus der informatorischen Müllbeseitigung.
    Enzensberger: Auch das Weglassen ist

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