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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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diese logische Überprüfung muss man seiner Kreativität misstrauen. Man muss viel gelernt haben, um überhaupt kreativ sein zu können. Das ist eine notwendige Bedingung. Und dann kann man auch in der Welt, in der ganzen Welt, erfolgreich sein. Und das soll man anstreben. Man muss immer erfolgreich sein wollen.
    Pöppel: Das ist für mich eine ungewöhnliche Verbindung, bei Kreativität gleich an Erfolg zu denken. Vielleicht liegt das daran, dass ich aus einem anderen Kulturkreis komme.
    T aoXi Yang: Ich glaube, Kreativität bedeutet, einer neuen Idee freien Ausdruck zu geben; man muss vom leidenschaftlichen Verlangen nach dem Neuen getrieben sein. Kreativität ist die Verbindung von Freiheit und Inspiration. Was man an kreativen Gedanken erfasst hat, muss aber auf andere Menschen bezogen sein, und das Neue auszudrücken erfordert Mut.
    Pöppel: Du beziehst von vornherein Kreativität auf andere Menschen. Ist es möglich, dass man durch seine Kreativität die Stabilität einer Gesellschaft durcheinanderbringt?
    Yuan Fang ( mischt sich ein): Nein, das ist nicht möglich. Es ist immer ein sozialer Rahmen vorgegeben, in dem sich Kreativität entfalten kann. Außerhalb dieses Rahmens gibt es keine Kreativität. In China wird kreatives Denken nicht unbedingt ermutigt; man ist immer ein Teil des Systems, der Gesellschaft. Man muss immer im Rahmen bleiben, den „mittleren Weg“ finden. In der Wirtschaft oder der Wissenschaft soll man nicht der Erste sein, sondern der schnellste Zweite. Die Tradition in China unterstützt nicht, „anders“ zu sein. Die Lehrer bringen einem bei, wie die andern zu sein.
    Pöppel: Ich danke euch, dass ihr so offen mit mir sprecht; das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Vor zehn Jahren hätte keiner von euch so frei gesprochen. Ich war 1981 das erste Mal in Peking, kurz nach dem Ende der Kulturrevolution, und Peking war auch äußerlich eine andere Stadt, alle hatten etwa die gleichen einfarbigen Anzüge an.
    Chuanqi Li (antwortet zunächst auf Deutsch und wiederholt dann auf Chinesisch): Kreativität bezieht sich darauf, ein Problem auf eine neue Weise zu lösen. Und hierfür ist eine Entgrenzung notwendig.
    Pöppel: Meinst du wirklich Entgrenzung? Wenige in Deutschland würden dieses Wort verwenden.
    Chuanqi Li: Ja, Entgrenzung ist notwendig. Normalerweise reagieren wir völlig automatisch bei der Lösung von Problemen, und dieser Automatismus ist häufig durch das soziale Umfeld bestimmt. Um aber aus dem automatischen Zirkel herauszuspringen, braucht man Mut. So wie es Immanuel Kant in seinem Text „Was ist Aufklärung?“ gesagt hat: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
    Pöppel: Chuanqi Li, ich bin beeindruckt! Ich weiß nicht, ob es auch in Deutschland passieren könnte, dass ein chinesischer Professor durch Zufall in eine Psychologie-Vorlesung gerät und dann von einer deutschen Studentin damit überrascht wird, dass sie in perfektem Chinesisch aus dem „Lun-yu“ von Konfuzius zitiert.
    Die Vorlesung ist zu Ende, und ich gehe mit Professor Yan Bao in ihr Büro, um mit ihr über ihre Kreativität zu sprechen. Mich interessiert vor allem, warum sie von sich sagt, kein kreativer Mensch zu sein.
    Pöppel: Yan, du hast mich ziemlich verblüfft durch deine Behauptung, denn ich habe den Eindruck, dass du als Wissenschaftlerin sehr kreativ bist. Vielleicht legst du einen Maßstab an dich selbst an, den ich aus westlicher Perspektive nicht verstehen kann. Was hast du bisher beruflich gemacht und wie bist du zur Erforschung der menschlichen Aufmerksamkeit gekommen?
    Yan Bao: Ich habe mich zunächst mit pädagogischer Psychologie befasst und darüber ein Buch geschrieben, als ich noch recht jung war, knapp 30. Das war vor allem für Leute gedacht, die nicht die Universität besuchen konnten und sich alles selber beibringen mussten, so wie ich. Ich war auch unzufrieden damit, wie in der Grundschule Mathematik unterrichtet wurde, und ich habe deshalb eine neue Lernstrategie entwickelt; ich habe immer versucht, das Denken zu lehren, doch wurde mein System im Schulunterricht nicht übernommen, vielleicht weil die Lehrer hierfür nicht hinreichend ausgebildet waren. Vielleicht war mein System auch zu abstrakt: Ich glaube, dass man bei der Lösung von Problemen manchmal vom Teil zum Ganzen, manchmal vom Ganzen zum Teil gehen muss, und diesen Unterschied muss man verstehen; bei der Addition oder der Multiplikation geht man vom Teil zum Ganzen; bei der

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