Von Natur aus kreativ
Subtraktion oder Division vom Ganzen zum Teil. Die Schüler, die meine Methode anwandten, machten die besten Examen. Vielleicht mochten das die anderen Lehrer auch nicht.
P öppel: Mir ist nicht klar, wie jemand sagen kann, er sei nicht kreativ, der in jungen Jahren ein wichtiges Buch geschrieben hat, in dem innovative Strategien des Lernens und neue Denkformen entwickelt werden. Was war der Grund dafür, dass du die pädagogische Psychologie verlassen hast?
Yan Bao: Das waren auch äußere Gründe. Ich kam an die Peking University und wäre auf diesem Gebiet ganz allein gewesen. Ich hatte kein eigenes Labor und damit keine Zukunft. Doch wichtiger war vielleicht, dass ich mehr an theoretischen Fragen interessiert war und bin. In die Kognitionswissenschaften wurde ich auch durch einen Preis für das beste Examen auf dem Gebiet der Kognitionswissenschaften hineingezogen; ich habe immer gut und schnell gelernt.
Pöppel: Wie bist du auf das Gebiet gekommen, auf dem du jetzt arbeitest und in dem du eine wichtige Entdeckung gemacht hast, dass es nämlich zwei Aufmerksamkeitssysteme gibt?
Yan Bao: Das weißt du nicht? Im Jahr 2002 saßen wir in einem italienischen Restaurant in München, und du hast mich gefragt, ob unsere Aufmerksamkeit auf Dinge irgendwo im Gesichtsfeld immer vom gleichen neuronalen Prozess gesteuert wird. Das war eigentlich eine absurde Frage, denn wieso sollte es verschiedene Mechanismen geben? Doch dann habe ich das genauer untersucht, und es wurde tatsächlich deutlich, dass es mindestens zwei solcher Systeme gibt. Und nun stellt sich natürlich die Frage, ob es nur zwei Systeme sind. Diesem Problem will ich in einem Labor in Moskau nachgehen; die haben dort exzellente technische Möglichkeiten.
Pöppel: In deiner Arbeit zeigt sich, dass du das Selbstverständliche in Frage stellst, wozu großer Mut und natürlich Kreativität gehören, und dass man so plötzlich zu unerwarteten Einsichten kommen kann. Du hast aber noch ein weiteres Interessengebiet, nämlich die Kunst. Wie bist du da hineingeraten?
Yan Bao: Im Jahre 2009 fand der 8. „Sino-German Workshop on Cognitive Neuroscience and Psychology“ statt, zu dem alle gebeten worden waren, einmal über etwas Neues zu sprechen, nämlich darüber, ob man aus der Hirnforschung und Psychologie etwas für ein besseres Verstehen der Künste lernen kann. Da ich mich wissenschaftlich auch mit Fragen der geometrischen Perspektive befassen muss, kam ich auf die Idee, einmal genauer westliche und asiatische Kunst am Beispiel von Landschaftsbildern zu untersuchen. Es ist sofort erkennbar, dass im asiatischen Kulturraum die Zentralperspektive, wie sie etwa von Leonardo da Vinci formuliert wurde, eine viel geringere Rolle spielt. In einem asiatischen Bild können verschiedene Perspektiven einer Landschaft übereinander- und nebeneinandergestellt werden. Das hat wichtige Konsequenzen für die Perspektive, die der Betrachter einnimmt: In der westlichen Kunst hat der Betrachter eine Außenperspektive; in chinesischen und auch japanischen Landschaftsbildern wird der Betrachter ein Teil des Ganzen, und er muss die verschiedenen Perspektiven auf einer höheren konzeptionellen Ebene vereinen. Seit mir dieses Prinzip der erforderlichen Integration verschiedener Blickrichtungen und auch verschiedener Zeitpunkte in einem Bild deutlich geworden ist, betrachte ich die Welt mit größerer Offenheit. Es hat mich auch persönlich bereichert.
Mein Gespräch mit der chinesischen Wissenschaftlerin Yan Bao, die von sich sagt, dass sie nicht kreativ sei, macht eines besonders deutlich: Die Maßstäbe, die wir an uns selbst anlegen und mit denen wir andere messen, unterliegen offenbar ganz wesentlich kulturellen Randbedingungen. Wenn einer von sich behauptet, er sei kreativ, oder wenn eine von sich sagt, sie sei nicht kreativ, dann muss man schon sehr genau hinschauen, um zu sehen, was sich hinter dieser Selbstbewertung tatsächlich verbirgt.
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Die chinesische Kultur ist 5000 Jahre alt, zumindest aber 2500 Jahre, wenn man sie mit Konfuzius beginnen lassen will. Über die Zeiten hinweg haben die Traditionen gesellschaftliche und kulturelle Rahmen geschaffen, in denen sich jeder (oder fast jeder) aufgehoben fühlt, wenn es auch immer wieder Unterbrechungen in der langen Geschichte des Landes der Mitte gegeben hat. Auch in persönlichen Gesprächen wird immer wieder das historisch
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