Von Natur aus kreativ
soll Ich werden.“ Man kann aber auch eine ganz andere Auffassung vertreten, nämlich: „Wo Ich war, soll Es werden.“ Dies gilt vor allem für rituelle Abläufe, die das Leben erleichtern. Man muss nicht immer alles durchdenken. Es gibt Augenblicke, in denen man sich hingibt, es gibt Augenblicke, in denen man einfach nur staunt. Und Hingabe und Staunen sind Wurzeln der Kreativität.
A rnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 7., durchges. Aufl., Frankfurt (Main): Athenäum 1962 (zuerst 1940).
Vielleicht ist es wirklich die Pause zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner Befriedigung, der „Hiatus“, wie ihn Arnold Gehlen beschreibt, der den Menschen gegenüber anderen Lebewesen auszeichnet, und wenn nicht qualitativ, so doch zumindest quantitativ. Dieses Intervall zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner Befriedigung schafft den zeitlichen Rahmen für individuelle und kulturelle Kreativität.
Volker Gerhardt: Individualität. Das Element der Welt, München: C. H. Beck 2000.
Dieses Buch begeistert mich. Aufgrund der Einsichten, die Gerhardt entwickelt, und aufgrund der Weise, wie es geschrieben ist. Es beginnt mit einer Abrechnung mit der eigenen Disziplin, der Philosophie, die ihr wichtigste Thema vernachlässigt habe, nämlich die Individualität: „Die praktische Philosophie hat vor dem Individuum vollkommen versagt.“ Gerhardt beschreibt Individualität als den elementaren Tatbestand unserer Welt: „Alles ist individuell, und alles will sich, sofern es wollen kann, in seiner Individualität erhalten. Daher ist das Individuelle schon in seinem puren Dasein der Ursprung des menschlichen Handelns.“ Im Hinblick auf die Frage, wie wir als biologische Wesen gemeint sind, heißt dies also, dass wir als Individuen gemeint sind. Doch sei hier hinzugefügt: Auch! Denn wir sind immer in einen sozialen Rahmen eingebunden, was aber nur als Individuum geschehen kann.
Gerd Gigerenzer: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Berlin: Berlin 2002.
Man müsste sich eigentlich bei Mutter Natur darüber beklagen, dass wir nicht mit einem „statistischen Sinn“ ausgestattet sind. Wie man mit diesem Defizit umgehen kann, das erfährt man in diesem Buch. Es ist nicht nur ein Vergnügen, es zu lesen, man kann danach auch leichter durch den Alltag navigieren. Vor allem aber fängt man an, die Zeitungen kritischer zu lesen, die voll sind von Abbildungen, die einen irreführen (sollen). Kleinste Veränderungen etwa des Marktes können groß erscheinen, wenn man die Ordinate (die senkrechte Linie bei Histogrammen) nicht mit Null beginnen lässt. Hier sind sowohl Bild-Kompetenz als auchstatistischer Sinn gefragt, wenn man nicht für dumm verkauft werden will.
Durs Grünbein: Aroma. Ein römisches Zeichenbuch, Berlin: Suhrkamp 2010.
Wenn es eine dichterische Darstellung dessen gibt, was wir in diesem Buch versuchen, nämlich das Konzept der Kreativität mit seiner Funktion der Herstellung und Sicherung des inneren Gleichgewichts in Verbindung zu bringen, dann ist es dieses Werk. Grünbeins Buch ist nicht nur ein Dokument dichterischer Kreativität, es ist gleichzeitig Ausdruck einer Suche nach der „Mitte“. 2000 Jahre unserer Geschichte werden in dem Kapitel „Carcer Mamertinus: Der Mann Paulus“ in erschütternder Weise offengelegt. Der Mann Paulus kommt einem sehr nah, und man versteht seine Verzweiflung aus dem Römerbrief, das Gute zu kennen, und es doch nicht zu tun.
Martin Heidegger: Gelassenheit. Pfullingen: Neske 1959.
Wenn man seine Bodenständigkeit verloren hat, dann empfiehlt Heidegger Gelassenheit und die Offenheit zu den Dingen. Ich muss bekennen, dass ich im Schwarzwald immer wieder zur Hütte in Todtnauberg gewandert bin, wo Heidegger offenbar sein bekanntes Werk „Sein und Zeit“ geschrieben hat. Einmal habe ich sogar nachgefragt, ob ich die Hütte kaufen könne, doch das war eine zu verwegene Anfrage. Wenn man in Freiburg ins Gymnasium gegangen ist, dann kam man in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts um Heidegger nicht herum. Einmal hat es mich sogar in eine Vorlesung des Philosophen verschlagen. Heidegger interpretierte ein Gedicht von Hölderlin. Ich verstand nichts. Vielleicht ging es manch anderen auch so. Aber man erlebte einen kreativen Geist in Aktion, nicht zuletzt was die Sprachgewalt anbelangt.
Hermann von Helmholtz: Handbuch der physiologischen Optik, 2., umgearb. Aufl., Hamburg/Leipzig:
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