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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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Irina würde ins Gefängnis kommen, und danach müsste sie in ihr
Land zurück. Vielleicht hatte der dicke Mann sie geschlagen, sie tat nichts
ohne Grund. Kalle dachte an den Tag, an dem sie mit der Bahn aufs Land gefahren
waren, sie hatten in der Hitze des Sommers auf einer Wiese gelegen, und Irina
hatte wie ein Kind ausgesehen. Er war glücklich gewesen. Jetzt glaubte er,
bezahlen zu müssen. Und Kalle dachte an seinen Hund. Manchmal ging er zu der
Stelle im Park, um nachzusehen, ob sich etwas verändert hatte.
     
    Eine halbe Stunde später wurde
Kalle klar, dass es keine gute Idee gewesen war. Er war nackt bis auf seine
Unterhose. Sein Schweiß mischte sich mit dem Blut in der Badewanne. Er hatte
dem Mann eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt, er wollte ihn dabei nicht
ansehen. Zuerst hatte er es falsch gemacht und versucht, den Knochen zu
durchtrennen. Dann fiel ihm ein, wie man ein Hühnchen zerteilt, und er drehte
dem dicken Mann den Arm aus der Schulter. Es ging nun besser, nur die Muskeln
und Fasern musste er zerschneiden. Irgendwann lag der Arm auf den gelben
Fußbodenkacheln, die Uhr war noch am Handgelenk. Kalle drehte sich zur Toilettenschüssel,
erbrach sich wieder. Er ließ Wasser ins Waschbecken laufen, tauchte ein und
spülte den Mund aus. Das Wasser war kalt, es schmerzte an den Zähnen. Er starrte
in den Spiegel und wusste nicht, ob er davor oder dahinter stand. Der Mann vor
ihm musste sich bewegen, damit er sich bewegen konnte. Das Wasser lief über den
Rand des Waschbeckens und klatschte auf seine Füße, Kalle kam zu sich. Er
kniete wieder auf den Boden und nahm die Säge.
     
    Drei Stunden später hatte er
die Gliedmaßen abgetrennt. In einem Lebensmittelladen kaufte er schwarze
Müllbeutel. Die Kassiererin sah ihn komisch an. Kalle versuchte nicht daran
denken, wie er das mit dem Kopf machen würde - es gelang ihm nicht. »Wenn er
auf dem Hals bleibt, bekomme ich den Mann nicht in den Anhänger«, dachte er.
»Ich kann es einfach nicht.« Er verließ das Geschäft, auf dem Trottoir
unterhielten sich zwei Hausfrauen, die S-Bahn fuhr vorbei, ein Junge kickte
einen Apfel über die Straße. Kalle wurde wütend. »Ich bin doch kein Mörder«,
sagte er laut, als er an einem Kinderwagen vorbeiging. Die Mutter drehte sich
nach ihm um.
    Er riss sich zusammen. Eine
der Griffschalen des Fuchsschwanzes hatte sich gelöst, Kalle schnitt sich in
die Finger. Er heulte wie ein Kind, unter seinen Nasenlöchern bildeten sich
Blasen, er sägte mit geschlossenen Augen. Er heulte und sägte und heulte und
sägte. Er hielt den Kopf des dicken Mannes unter seinem Arm eingeklemmt, die
Plastiktüte war glitschig geworden und entglitt ihm immer wieder. Als er den
Kopf endlich vom Rumpf getrennt hatte, war er verwundert, wie schwer er war.
Wie ein Sack Grillkohle, dachte er, und er wunderte sich, weshalb ihm
Grillkohle einfiel. Kalle hatte noch nie gegrillt.
     
    Er schleifte den größten
Beutel in den Fahrstuhl und blockierte damit die automatische Tür. Dann holte
er den Rest. Die Mülltüten hielten, für den Torso hatte er sie doppelt genommen.
Er fuhr den Anhänger des Fahrrades in den Hausflur, niemand beobachtete ihn.
Es waren vier schwarze Müllbeutel. Nur die Arme hatte Kalle in einen Rucksack
stecken müssen, der Anhänger war voll, sie wären herausgefallen.
    Kalle hatte ein frisches Hemd
angezogen. Er brauchte 20 Minuten bis zum Stadtgarten. Er dachte an den Kopf, an
die dünnen Haare und an die Arme. Er spürte die Finger des dicken Mannes in
seinem Rücken. Sie waren nass. Er stürzte vom Fahrrad und riss den Rucksack
runter. Dann ließ er sich auf den Rasen fallen. Er wartete darauf, dass die
Leute zu ihm laufen und schreien würden, aber das passierte nicht. Es passierte
gar nichts.
     
    Kalle lag da und sah in den
Himmel und wartete.
    Er vergrub den ganzen dicken
Mann im Stadtgarten. Der Stiel des Spatens brach, er kniete und hielt das Blatt
mit den Händen. Er stopfte alles in das Loch, nur ein paar Meter entfernt von
dem toten Hund. Es war nicht tief genug, er trat die Mülltüten zusammen. Das
frische Hemd war verdreckt, seine Finger schwarz und blutig, seine Haut juckte.
Die Reste des Spatens warf er in einen Mülleimer. Dann saß er fast eine Stunde
auf einer Parkbank. Er sah den Studenten zu, die Frisbee spielten.
     
     
    Als Irina von ihrer Freundin
zurückkam, war das Bett leer. Über dem Stuhl hingen noch immer das Jackett und
die gefaltete Hose des dicken Mannes. Sie sah ins Bad und

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