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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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sich schildern, wie sich der Polizist das Video
vom Sicherheitsdienst des Hotels hatte aushändigen lassen. Ja, er habe vor Ort
die eingeblendete Uhrzeit auf den Monitoren im Sicherheitsbüro des Hotels
verglichen. Lediglich eine halbe Minute Abweichung zur tatsächlichen Zeit habe
er feststellen können. Darüber habe er auch einen Vermerk geschrieben.
    Als die Verteidigung das
Fragerecht bekam, ließ ich mir zunächst bestätigen, dass es wirklich der 29. Oktober gewesen war, an dem
der Polizist das Video gesichert hatte. Ja, das sei korrekt, es sei der Montag
gewesen, gegen 17:00 Uhr.
    »Herr Zeuge, haben Sie den
Wachmann des Hotels gefragt, ob er die Uhrzeit am 28.10. auf Winterzeit umgestellt
hatte?«, fragte ich.
    »Was? Nein. Die Uhrzeit war
doch richtig. Ich habe es doch überprüft...«
    »Das Video ist vom 26.10. An diesem Tag war noch Sommerzeit.
Erst zwei Tage später, am 28.10., wurde auf Winterzeit umgestellt.«
    »Das verstehe ich nicht...«,
sagte der Polizist.
    »Es ist ganz einfach. Es
könnte sein, dass die Uhr der Überwachungskamera immer die Winterzeit anzeigt.
Wenn diese Uhr 15:00 im Sommer anzeigen würde, wäre es in Wirklichkeit 14:00 Uhr, würde sie 15:00 Uhr hingegen im Winter anzeigen,
wäre es die korrekte Zeit.«
    »Richtig.«
    »Am Tattag, dem 26.10., galt die Sommerzeit. Die Uhr
zeigte 15:26 Uhr an.
Wäre die Uhr nicht umgestellt worden, wäre es in Wirklichkeit 14:26 Uhr gewesen. Haben Sie das
verstanden?«
    »Ja«, sagte der Polizist »Aber
das ist doch nur sehr theoretisch.«
    »Genau um diese Theorie geht
es. Die Frage ist also, ob die Uhr korrekt gestellt gewesen ist. Denn sonst hätte
der Angeklagte das Zimmer eine Stunde vor dem Auffinden durch die Putzfrau
verlassen. In dieser Stunde hätte jeder andere das Opfer töten können. Deshalb,
Herr Zeuge, wäre die Frage an das Sicherheitspersonal des Hotels schon
entscheidend gewesen. Warum haben Sie sie nicht gestellt?«
    »Ich weiß jetzt nicht mehr, ob
ich das gefragt habe. Wahrscheinlich hat mir der Sicherheitsdienst das
gesagt...«
    »Ich habe hier eine Aussage
des Leiters des Sicherheitsdienstes, die wir vor einigen Tagen aufgenommen haben.
Er sagte, dass die Uhr noch nie umgestellt worden war. Sie lief seit
Installation der Kamera immer auf der gleichen Zeit, nämlich der Winterzeit.
Können Sie sich jetzt besser daran erinnern, ob Sie ihm die Frage gestellt
haben?« Ich überreichte dem Gericht und der Staatsanwaltschaft eine Kopie der
Aussage.
    »Ich, ich glaube, ich habe die
Frage nicht gestellt«, sagte der Polizist jetzt.
    »Herr Vorsitzender, könnten
Sie dem Zeugen bitte aus der Bildermappe B Blatt 12 bis 18 zeigen. Es handelt sich um die
Bilder, auf denen zu sehen ist, wie der Angeklagte die Garage verließ.«
    Der Vorsitzende suchte die
gelbe Bildermappe heraus und breitete die Videoausdrucke vor sich aus. Der
Zeuge trat an den Richtertisch und sah sie sich an.
    »Da steht es doch. 15:26:55 Uhr. Das ist die Uhrzeit«,
sagte der Polizist.
    »Ja, die falsche Uhrzeit. Darf
ich aber Ihren Blick auf den Arm des Angeklagten auf Bild 4 lenken? Bitte sehen Sie genau
hin. Seine linke Hand ist gut zu erkennen, weil er gerade den Klingelknopf
betätigt. Herr Boheim trug an diesem Tag eine Patek Philippe. Können Sie die
Ziffern auf dem Bild erkennen?«
    »Ja, sie sind deutlich zu
erkennen.«
    »Herr Zeuge, welche Uhrzeit
können Sie ablesen?«
    »14:26 Uhr«, sagte der Polizist.
    Auf der voll besetzten
Pressebank breitete sich Unruhe aus. Oberstaatsanwalt Schmied kam jetzt selbst
zum Richtertisch, um sich die Bilder im Original anzusehen. Er ließ sich Zeit,
nahm die Bilder einzeln zur Hand und betrachtete sie genau. Endlich nickte er.
Das waren die 60 Minuten,
die zur Annahme eines Alternativtäters und damit zum Freispruch Boheims gefehlt
hatten. Der Prozess würde jetzt schnell zu Ende gehen, andere Beweise gegen
Boheim waren nicht vorhanden. Der Vorsitzende erklärte, das Gericht benötige
eine Pause.
     
    Auf Antrag der Staatsanwaltschaft
wurde eine halbe Stunde später der Haftbefehl gegen Boheim aufgehoben, am nächsten
Prozesstag wurde er ohne weitere Beweisaufnahme freigesprochen.
     
     
    Oberstaatsanwalt Schmied
gratulierte Percy Boheim zu seinem Freispruch. Dann ging er über den
langen Flur zurück in sein Zimmer, fertigte einen Vermerk über den Ausgang des
Verfahrens und schlug die nächste Akte auf, die auf seinem Schreibtisch lag.
Drei Monate später wurde er pensioniert.
     
    Abbas wurde noch am

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