Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
aufforderte, Platz zu nehmen, bemerkte sie, dass er sie in einer völlig anderen und ungewohnten Weise anschaute.
»Schönes Wetter heute«, sagte er.
Sie sah ihn erstaunt an wegen dieser unbeholfenen Gesprächseröffnung. »Ach, hat sich der Nebel verzogen?«
»Oh. Ist mir wohl nicht aufgefallen.«
»Anscheinend nicht.«
Er klopfte mit den Fingern auf sein Knie.
»Hat dir die Oper letzte Woche gefallen?«, fragte sie. Offensichtlich musste sie irgendein Thema anschneiden, damit überhaupt eine Unterhaltung in Gang kam.
Er zuckte die Achseln. »Das Italienische ist nicht so meine Sache.«
»Hast du nicht mal an der Universität Kurse belegt?«
Er schüttelte den Kopf. Dann holte er tief Luft. »Was gefällt dir eigentlich sonst noch – außer der Oper, meine ich?«
Das war schon besser. »Reiten. In letzter Zeit bin ich ein paarmal mit Mr Derbys Schwester ausgeritten.«
»Ich mag Pferde«, sagte er und lebte auf, »besonders, wenn ich auf sie setze. Welche Gemeinsamkeiten haben wir sonst noch?«
»Lesen?«
Er schüttelte den Kopf. »Kann mich nicht konzentrieren. Bin lieber draußen oder beschäftige mich irgendwie anderweitig.«
War Lesen keine Beschäftigung, dachte sie nachsichtig, aber sie kannte ihn schließlich. William hatte nie sonderlich viel mit Büchern im Sinn gehabt. »Ich engagiere mich bei mehreren Wohltätigkeitsorganisationen«, sagte sie.
»Wie schön. Frauen sollten immer helfen.«
Es überraschte sie, wie schwierig es war, ein Thema zu finden, das sie beide interessierte. Er wirkte so jung. Wieso war ihr das eigentlich nicht früher aufgefallen?
Plötzlich stellte sie fest, dass sie ihn ständig mit Peter verglich. Zu seinem Nachteil.
Nach den üblichen fünfzehn Minuten, die ein Höflichkeitsbesuch zu dauern pflegte, erhob er sich, beugte sich über ihre Hand und sah sehr zufrieden mit sich aus. Er lächelte sie an, und in diesem Moment erkannte sie, dass in seinen Augen genau jenes Interesse lag, das sie sich seit Jahren so brennend gewünscht hatte.
Nur dass es ihr mittlerweile völlig egal war. Was sollte sie noch mit William Gibson?
Sie sah Peter erst am Nachmittag des nächsten Tages bei einem Picknick in den Gärten des Stadthauses der Marchioness von Cheltenham wieder. Allein bei seinem Anblick, wie er da auf der anderen Seite des Rasens stand, stockte ihr der Atem, und übermächtig tauchten die Bilder ihrer gemeinsamen Nacht vor ihrem inneren Auge auf. Es war schließlich das erste Mal, dass sie sich seitdem wiedersahen. Sie hatte befürchtet, mit Verlegenheit zu reagieren, doch nichts davon. Was sie verspürte, waren neuerlich ein machtvolles körperliches Verlangen und der sehnliche Wunsch, von ihm berührt zu werden.
Er sah so attraktiv aus, so liebenswürdig und rundherum begehrenswert. Auch wenn sie ihn freudigen Herzens umgebracht hätte, weil er in der vergangenen Nacht nicht zu ihr gekommen war.
Die anderen Gäste bedachten sie erneut mit mitleidigen Blicken oder schüttelten den Kopf, aber Elizabeth war es gleichgültig, oder sie nahm es erst gar nicht zur Kenntnis. Wenn die wüssten, dachte sie. Für sie zählten nur Peter und die Liebe, die er ihr gab.
Ihre Schwägerin Abigail kam zu ihr herübergeschlendert, um seelischen Beistand zu leisten. »Ich habe bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt«, flüsterte sie, während sie unauffällig in Peters Richtung schaute. »Ach, Elizabeth, das ist alles so furchtbar!«
»Bitte mach dir keine Sorgen«, erwiderte Elizabeth. »Ich verspreche dir, dass sich alles regeln wird.«
Leider war es dann jedoch nicht Peter, der ihr die meiste Aufmerksamkeit schenkte, sondern William. Peter benahm sich zwar höflich-korrekt, dabei sehr reserviert, und obwohl sie sich immer wieder sagte, dass sie es exakt so besprochen hatten, schnürte bittere Enttäuschung ihr die Brust zusammen. Sie überfiel mit einem Mal eine schreckliche Angst, das alles könnte echt sein.
Und dann noch William. Nicht nur dass er sie ohnehin mit einem ungewöhnlichen Maß an Aufmerksamkeit überhäufte – nach dem Essen forderte er sie gar noch auf, beim Krocket als seine Partnerin zu fungieren. Selbst Abigail verdrehte die Augen.
»Tu du dich bitte mit Peter zusammen«, drängte Elizabeth sie. »Dann könnt ihr gegen uns spielen.«
Bald darauf waren alle vier mit Schlägern und Holzkugeln ausgestattet und folgten einem Parcours aus kleinen Eisentoren, der auf dem weitläufigen Rasen gesteckt worden war. William schien weder großes Interesse
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