Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
die nur zu einem Gesichtsausdruck fähig ist.«
»Vielleicht fehlte dir bisher auch bloß die Gelegenheit, andere Seiten von ihr kennenzulernen.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Ich habe sie immer als meine Freundin betrachtet, zumindest früher. Hattest du dadurch das Gefühl, zu kurz zu kommen?«
Mary Anne stieß einen Seufzer aus und lehnte sich an die Tischkante. »Nein, natürlich nicht.«
»Du bist meine Schwester und stehst für mich immer an erster Stelle.«
»Eine Frau wird schon sehr bald diese Stelle einnehmen – vielleicht hat sie das sogar schon.«
Peter ließ die Einladung durch seine Finger gleiten, während er sie betrachtete.
»Du musst nicht unbedingt heiraten, genauso wenig wie ich«, fuhr sie fort. »Nur für James ist es wichtig.«
»Eines Tages möchte ich schon eine Frau haben, die ich liebe, einen eigenen Haushalt und Kinder«, meinte er sanft. »Du nicht?«
Sie wich seinem Blick aus. »Ich erkenne nicht, warum das so wichtig sein soll. Doch ich kann dir nicht vorschreiben, wie ich zu denken. Mach Elizabeth weiter den Hof, nur vergiss nicht, dass die Cabots über uns stehen, Peter – weit über uns. Du wirst nie einer von ihnen sein.«
Offensichtlich machte sie gerade eine Art Identitätskrise durch. Er selbst hatte das vor vielen Jahren erlebt und erst am Ende davon profitiert und aus seinen Fehlern gelernt.
»Mary Anne, ich brauche nicht wie ein Cabot zu fühlen. Ich bin stolz darauf, ein Derby zu sein.«
»Schön und gut. Aber der Duke wird Elizabeth nie erlauben, dermaßen unter Stand zu heiraten.«
Mary Anne strich mit den Fingerspitzen über den grünen Filz des Billardtischs. Sie war alleine mit sich und ihren Gedanken. Absolute Konzentration war vonnöten, um die Beste zu sein, und stundenlanges Üben. Beides war nur möglich, wenn einen niemand störte.
Doch während sie die roten und weißen Kugeln in die richtige Position brachte, musste sie die ganze Zeit über an Peter und seine Beziehungen zu Frauen nachdenken.
Entnervt wandte sie sich vom Tisch ab und rieb sich mit beiden Händen müde das Gesicht. O nein, sie war nicht so dumm, die absolute Aufmerksamkeit ihrer Brüder für sich zu verlangen. Sie wusste, dass die beiden ihr eigenes Leben führten und die Dinge nicht unbedingt so sahen wie sie. Andererseits hatten sie nie die geringste Neigung gezeigt zu heiraten, und deshalb war sie irgendwie davon ausgegangen, dass ihr gemeinsames Leben einfach so weitergehen würde wie immer.
Und nun fing Peter an, die Situation zu ändern, denn was sonst konnte die Einladung bedeuten. Es war eine Lüge gewesen, als sie ihm sagte, seine Freundschaft mit Elizabeth habe sie nicht eifersüchtig gemacht.
Sie hatte sich damals verlassen gefühlt und mit einem Mal schrecklich einsam. Sie wollte nicht noch einmal einen solchen Bruch in ihrem Leben erfahren. Peter war ihr Bruder, und sie liebte ihn.
Und nun ausgerechnet schon wieder Lady Elizabeth Cabot? Konnte der intelligente Peter wirklich so blind sein?
Als Peter in den Salon von Madingley House geführt wurde, dachte er zuerst, er sei alleine im Raum. Die einzelne Person, die in der Ecke auf einem Sofa saß, bemerkte er zunächst nicht.
»Hallo, Mr Derby.«
Er drehte sich um und sah sich Lucinda Gibson gegenüber, die ihm ein freundliches Lächeln schenkte. Sie stand auf, um vor ihm zu knicksen, und er verbeugte sich vor ihr.
»Guten Abend, Miss Gibson«, begrüßte er sie und stellte fest, dass er den Abend nicht besser hätte planen können.
»Sind wir beide zu früh?«, fragte sie.
»Ich gehe eher davon aus, dass sich die Familie verspätet. Für ein zwangloses Beisammensein am Abend nicht weiter ungewöhnlich.«
»Natürlich nicht. Ich bin es gewöhnt, auf Elizabeth zu warten.«
Obwohl sie einander seit mehreren Jahren flüchtig kannten, stand Lucinda Gibson etwas unsicher da und ließ ihn nicht aus den Augen, was seinen Verdacht nährte, dass sie etwas wusste. Vermutlich jedoch nichts über das Gemälde, dachte er. Das schien eine Sache zwischen den drei Cousinen zu sein.
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte er.
Nachdem sie seinem Wunsch Folge geleistet hatte, nahm er ihr gegenüber Platz und kam gleich zur Sache. Was sollte er sich lange mit irgendwelchen Ouvertüren über das Wetter aufhalten?
»Miss Gibson, ich mache mir Sorgen wegen Elizabeth.«
Einen kurzen Moment lang wurden ihre Augen groß, dann richtete sich ihr Blick auf sein Gesicht. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Bestimmt hat sie Ihnen doch von
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