Von wegen Liebe (German Edition)
systematisch durch das Chaos zu arbeiten und nicht an meine Mutter zu denken. Daran, dass sie sich in der kalifornischen Sonne wahrscheinlich eine knackige Bräune zugelegt hatte. Dass sie vielleicht mit einem süßen zweiundzwanzigjährigen Latino anbandelte. Oder an die gestochen scharfe Unterschrift, mit der sie die Scheidungspapiere unterschrieben hatte.
Ich war wütend auf sie. So unfassbar wütend. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie einfach so die Scheidungspapiere schicken? Ohne vorher nach Hause zu kommen und mit uns darüber zu reden? War ihr denn nicht klar, was sie Dad damit antat? Oder mir? Sie hatte es noch nicht einmal für nötig gehalten, mich in irgendeiner Form darauf vorzubereiten.
Ich stellte gerade den Couchtisch wieder richtig hin, als ich entschied, dass ich meine Mutter hasste. Dafür, dass sie uns so viel allein gelassen hatte. Dafür, dass sie uns mit diesem Umschlag den Boden unter den Füßen wegzog. Dafür, dass sie Dad das Herz gebrochen hatte.
Als ich den Müllsack voller kaputter Bilderrahmen in die Küche trug, fragte ich mich, ob Dad es geschafft hatte, auch die darauf verewigten Erinnerungen an glückliche Zeiten zu zerstören. Wahrscheinlich nicht. Deswegen hatte er den Alkohol gebraucht. Und als selbst das nicht geholfen hatte, Moms Gesicht aus seinem Kopf zu verbannen, musste er wie ein Irrer durch das Zimmer gewütet sein.
Ich hatte meinen Vater noch nie betrunken erlebt, aber ich wusste, warum er mit dem Trinken aufgehört hatte. Als ich noch klein war, hatte ich ein paarmal mitbekommen, wie er und Mom sich darüber unterhalten hatten. Dad neigte wohl zu cholerischen Anfällen, wenn er betrunken war – was auch den umgetretenen Couchtisch erklären würde –, und weil Mom es irgendwann nicht mehr ausgehalten hatte, holte er sich Hilfe und wurde trocken.
Aber ich konnte mir meinen Vater einfach nicht betrunken vorstellen. Ich konnte mir ja noch nicht einmal vorstellen, dass er ein schlimmeres Schimpfwort als »verdammt« benutzte. Und cholerische Anfälle? Dafür reichte meine Fantasie erst recht nicht.
Ich hoffte nur, dass er sich nicht an einer der vielen Glasscherben geschnitten hatte. Und ich gab nicht ihm die Schuld an der jetzigen Situation. Sondern Mom. Sie hatte ihm das angetan. Einfach so zu gehen, zu verschwinden, ohne anzurufen, ohne uns vorzuwarnen. Er wäre nie rückfällig geworden, wenn sie ihm nicht diese verdammten Scheidungspapiere geschickt hätte. Es würde ihm gut gehen. Er würde TV Land schauen und das Hamilton Journal lesen. Nicht seinen Rausch ausschlafen.
Ich machte mich daran, die kleinen Glassplitter aus dem Teppich zu saugen, und zwang mich weiter, nicht zu weinen. Ich durfte nicht weinen. Wenn ich geweint hätte, dann nicht, weil meine Eltern sich scheiden ließen. Das hatte ich irgendwie kommen sehen. Und auch nicht, weil ich meine Mutter vermisste. Dafür war sie schon viel zu lange weg. Noch nicht einmal, weil ich um die Familie trauerte, die wir einmal gewesen waren. Ich mochte das Leben, das ich mit Dad führte. Nein. Wenn ich geweint hätte, dann aus Wut oder aus Angst oder aus irgendwelchen anderen egoistischen Gründen. Ich hätte um mich geweint, um das, was es für mich bedeutete. Jetzt musste ich die Erwachsene sein. Ich musste mich um Dad kümmern. Meine sich wie ein verdammter Hollywoodstar in Kalifornien vergnügende Mutter führte sich schon egoistisch genug auf, deswegen musste ich mir die Tränen verbieten.
Ich schob gerade den Staubsauger in die Abstellkammer zurück, als das Telefon klingelte.
»Hallo?«, meldete ich mich.
»Hallo, Duffy.«
Oh Scheiße. Ich hatte total vergessen, dass ich mit Wesley an diesem dämlichen Aufsatz arbeiten musste. Und er war von allen Menschen, die ich kannte, der letzte, den ich heute sehen wollte. Warum musste dieser Tag noch schlimmer werden?
»Es ist fast drei«, sagte er. »Ich komm jetzt gleich zu dir. Du hast mich gebeten, anzurufen, bevor ich losfahre … du siehst, wie rücksichtsvoll ich sein kann.«
»Du weißt noch nicht mal, wie man das Wort schreibt.« Ich blickte zum anderen Ende des Flurs, von wo das Schnarchen meines Vaters zu mir drang. Das Wohnzimmer war zwar keine Todesfalle mehr, sah aber immer noch ziemlich unordentlich aus. Außerdem hatte ich keine Ahnung, in welcher Stimmung Dad sein würde, wenn er aufwachte – wahrscheinlich in keiner besonders guten –, oder was ich zu ihm sagen sollte. »Hör zu, ich komme doch lieber zu dir. Ich bin in zwanzig Minuten
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