Von wegen Liebe (German Edition)
Schwester zu tun haben. Nicht nach dem, was er mir angetan hatte.
Und es gelang mir auch ganz gut, mich in dem Punkt durchzusetzen … bis zu jenem Tag in der Cafeteria.
»Gott, Jess, bist du total hirnamputiert, oder was?«
Casey und ich drehten uns auf unseren Stühlen um und sahen, wie eine der Zicken aus dem Tussi-Team wütend auf Jess hinunterstarrte, die mindestens einen Kopf kleiner war als sie. Vielleicht duckte Jess sich aber auch nur unter der verbalen Attacke.
»Kannst du mir bitte mal erklären, was so schwer daran sein soll, mir einen Salat ohne Dressing zu besorgen?«, fauchte die Zwölftklässlerin und zeigte auf das Tablett, das Jess in der Hand hielt.
»Ich kann nichts dafür, Mia«, murmelte Jess mit feuerroten Wangen. »Ich hab den Salat so bekommen und …«
»Wie kann man nur so dämlich sein!« Das Mädchen drehte sich kopfschüttelnd um und stürmte mit schwingendem Pferdeschwanz davon.
Jess stand nur da und schaute mit großen, traurigen Augen auf den Salat hinunter. Sie wirkte so klein und verletzlich. In dem Moment fand ich sie nicht hübsch. Noch nicht einmal süß. Nur zerbrechlich und verschreckt. Wie ein verängstigtes Mäuschen.
»Beweg verdammt noch mal deinen Hintern hierher, Jessica!«, rief einer der anderen Cheerleader genervt von dem Tisch, an dem sie saßen. »Wir halten dir deinen Platz nicht ewig frei.«
Ich spürte Caseys Blick auf mir und wusste, was sie von mir wollte. Und nach der Szene, die ich gerade miterlebt hatte, konnte ich auch verstehen, warum sie es wollte. Wenn es jemand nötig hatte, von Casey gerettet zu werden, dann dieses Mädchen. Außerdem sah sie ihrem Bruder nicht im Mindesten ähnlich. Das machte die Entscheidung ein bisschen leichter.
Ich seufzte und rief: »Hey, Jessica.«
Sie zuckte zusammen und drehte sich mit einem so ängstlichen Ausdruck im Gesicht zu mir um, dass es mir fast das Herz brach.
»Komm und setz dich zu uns«, sagte ich freundlich, aber so bestimmt, dass sie erst gar nicht auf die Idee kam, die Einladung auszuschlagen und sich doch wieder zu diesen Miststücken zu setzen. Was ehrlich gesagt auch nicht besonders klug gewesen wäre, weil wir die einzige annehmbare Alternative waren.
Nach kurzem Zögern kam Jessica an unseren Tisch, die Cheerleader feuerten finstere Blicke in unsere Richtung, und Casey strahlte mich an. Aber das war längst Geschichte.
Als ich jetzt jedoch beobachtete, wie die kleine Neuntklässlerin zum Imbissstand lief, wurde aus Geschichte aktuelles Zeitgeschehen. Mir fiel auf, dass ihre Jeans nicht richtig saß – sie hatte einfach nicht die Figur für Hüfthosen – und dass sie die Schultern hochzog, als wollte sie so wenig wie möglich auffallen. Sie war anders als ihre sogenannten Freundinnen, gehörte nicht wirklich dazu. Genau wie Jess damals. Nur dass ich jetzt ein Wort für solche Mädchen hatte.
DUFF .
Es war nichts daran zu rütteln. Im Vergleich zu den hübschen Zicken, von denen sie herumkommandiert wurde, war diese Neuntklässlerin definitiv eine DUFF . Sie war nicht wirklich unattraktiv – und sie war ganz sicher nicht fett –, aber sie war die Unscheinbarste der vier. Ich fragte mich, ob das der eigentliche Grund war, warum die anderen sie in ihre Clique aufgenommen hatten. Damit sie besser aussahen.
Ich schaute wieder Jess an, dachte daran, wie klein und hilflos sie an dem Tag gewirkt hatte. Nicht süß. Nicht hübsch. Nur bedauernswert. Eine DUFF . Jetzt war sie wunderschön, hatte einen Hammerkörper, und so ziemlich jeder Typ – bis auf Harrison, leider – war scharf auf sie. Aber das Seltsame war, dass sie heute gar nicht so viel anders aussah als damals. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Sie war auch früher schon kurvig und blond gewesen. Also – was hatte sich verändert?
Wie konnte eines der schönsten Mädchen, die ich kannte, einmal eine DUFF gewesen sein? Das war ein Widerspruch in sich. So wie neulich, als Wesley mich in einem Atemzug sexy und Duffy genannt hatte. Es ergab einfach keinen Sinn.
Musste man als DUFF möglicherweise gar nicht unattraktiv oder fett sein? Ich meine, Wesley hatte an dem Abend im Nest gesagt, » DUFF « sei ein Vergleich. Konnte also auch ein ganz hübsches Mädchen eine DUFF sein?
»Sollen wir ihr helfen?«
Im ersten Moment wusste ich nicht, was Jess meinte, bis ich merkte, dass sie immer noch die Neuntklässlerin beobachtete, die gerade an der Seitenlinie entlangging.
Plötzlich kam mir ein Gedanke, für den ich mich heute noch
Weitere Kostenlose Bücher