Von Zweibeinern und Vierbeinern
wird auf Grund der Verunreinigung Bauchfellentzündung kriegen und sterben. Jetzt können wir nur noch darauf hoffen, das Kalb lebendig rauszuholen.« Mit Mühe nur wandte ich den Blick von seinem niedergeschlagenen Gesicht ab. »Und jetzt lassen Sie uns weitermachen.«
Abgesehen von den ersten wütenden Schreien, hatte sich der ganze Disput sehr leise abgespielt. Mr. Bushell warf uns fragende Blicke zu.
Ich antwortete ihm mit einem, wie ich hoffte, vertrauenerweckenden Lächeln und nahm meine Arbeit wieder in Angriff. Das Kalb lebendig herauszuholen – das war leicht gesagt. Bald dämmerte mir, daß es eine Mammutaufgabe war, das Kalb überhaupt herauszuholen. Ich tauchte meinen Arm tief unter dem – wie ich jetzt wußte – Magen hindurch und traf auf ein weiches großes Organ, das tief im Unterleib lag. Es enthielt etwas Großes, das so hart und unbeweglich wie ein Sack Kohle war.
Ich tastete die Oberfläche ab und fühlte unmißverständlich die Konturen eines Fesselgelenks, das gegen die geschmeidige Wand stieß. Da war es, das Kalb, aber es war weit, weit weg.
Ich zog meinen Arm zurück und wandte mich wieder Norman zu. »Von Ihrem Platz hinten im Hörsaal«, fragte ich bissig, »konnten Sie da zufällig feststellen, was die Professoren als nächstes getan haben?«
»Als nächstes? Ach so, ja.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und ich sah Schweißtropfen in seinen Augenbrauen. »Sie müssen den Uterus herausziehen.«
»Herausziehen? Ihn zum Öffnen hinziehen, meinen Sie?«
»Ja, das ist richtig.«
»Guter Gott!« sagte ich. »Selbst King Kong könnte diesen verdammten Uterus nicht anheben. Ich kann ihn nicht einmal ein paar Zentimeter bewegen. Fühlen Sie selbst.«
Der Student, der sich ausgezogen und geseift hatte wie ich selbst, führte seinen Arm in den Schnitt ein, und ein paar Augenblicke lang beobachtete ich, wie seine Augen sich weiteten und sein Gesicht sich rötete. Dann zog er den Arm zurück und nickte töricht. »Sie haben recht. Er läßt sich nicht bewegen.«
»Bleibt nur eins zu tun.« Ich griff nach einem Skalpell. »Ich muß den Uterus aufschneiden und das Fesselgelenk zu fassen bekommen. Es ist nichts da, woran man sich sonst festhalten kann.«
Es war ziemlich schrecklich, da unten im Dunkeln herumzuforschen und herumzuschneiden, den Arm bis zur Schulter in der Kuh vergraben. Ich hatte immerfort Angst, daß ich in irgend etwas Lebenswichtiges hineinschneiden könnte. In Wirklichkeit war es nur mein Finger, in den ich mehrere Male hineinschnitt, ehe ich in der Lage war, das Skalpell über dem Buckel, den das Fesselgelenk machte, anzusetzen und einen Schnitt zu machen. Eine Sekunde später hatte ich die Hand um das haarige Fußgelenk gelegt. Immerhin, ich war jetzt ein Stück weiter.
Vorsichtig vergrößerte ich den Einschnitt, Zentimeter um Zentimeter. Ich hoffte verzweifelt, daß ich ihn richtig und groß genug machte, aber ich war mir nicht sicher. Es ist etwas Schreckliches, blind zu arbeiten.
Wie auch immer, ich durfte jetzt nicht mehr warten, ich mußte das Kalb befreien. Ich legte das Messer beiseite, griff nach dem Bein und versuchte, das Kälbchen daran hochzuziehen. Im gleichen Augenblick wußte ich, was mir bevorstand: das »Kälbchen« hatte ein enormes Gewicht, und es würde mich ungeheure Kraft kosten, es herauszuheben aus seiner dunklen Höhle, damit es das Licht der Welt erblickte.
Wenn ich heute einen Kaiserschnitt mache, suche ich mir immer erst einen kräftigen Bauernburschen, der mir beim Herausheben hilft, ehe ich den Eingriff vornehme.
Damals hatte ich nur Norman.
»Kommen Sie«, keuchte ich. »Gehen Sie mir zur Hand.«
Wir griffen zusammen in die Öffnung und fingen an zu ziehen. Irgendwie gelang es mir, den Huf zurückzudrängen und das Bein zu packen. So hatten wir einen besseren Angriffspunkt. Trotzdem war es eine schwere, qualvolle Arbeit.
Wir zogen und zogen, stöhnend und mit zusammengebissenen Zähnen, bis ich endlich das andere Hinterbein greifen konnte. Aber auch jetzt, wo wir jeder ein Bein in der Hand hatten, wollte sich nichts bewegen lassen. Während wir uns keuchend und schwitzend zurückstemmten und mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften zerrten, überkam mich plötzlich der Gedanke, der jeden Tierarzt gelegentlich befällt. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, ich hätte diese gräßliche Arbeit nie angefangen. Oh, wäre ich doch Mr. Bushells Vorschlag gefolgt, die Kuh zum Schlachter zu schicken! dachte ich. Statt
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