Von Zweibeinern und Vierbeinern
den Kopf zurück und lachte schallend. »Entschuldige, Jim«, sagte er, als er sich von seinem Lachanfall erholt hatte. »Ich habe, wie du weißt, in ein paar Wochen Examen, und ich habe gehört, daß einer der Prüfer ein Ziegenspezialist ist. Deshalb habe ich gerade gestern abend alles in mich hineingelesen, was ich über Ziegen finden konnte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß ich so bald Gelegenheit haben würde, all das Gelernte wieder von mir zu geben.«
Nun ja, das klang plausibel. Tristan hatte ein Gehirn, das Informationen wie ein Schwamm aufsaugte. Ich hatte als Student die Sachen oft sechsmal lesen müssen, bis sie sich mir wirklich eingeprägt hatten.
»Ich verstehe«, sagte ich. »Du solltest mir die Bücher, die du gestern abend gelesen hast, auch mal zeigen.«
Etwa eine Woche später gab es ein interessantes kleines Nachspiel. Siegfried und ich betraten morgens das Eßzimmer, als mein Partner plötzlich stehen blieb und auf den Frühstückstisch starrte. Da stand die braun eingewickelte Kakaodose, aber sie stand hinter dem Teller seines Bruders. Langsam ging er auf den Tisch zu und las die Adresse. Auch ich warf einen Blick darauf. Es gab keinen Zweifel, sie lautete: Mr. Tristan Farnon.
Siegfried sagte nichts. Wortlos setzte er sich ans Kopfende des Tischs. Kurz darauf kam Tristan herein, betrachtete interessiert die Dose und fing an zu frühstücken.
Niemand sagte ein Wort. Schweigend saßen wir da, aber alle drei wußten wir, daß nun Tristan fürs erste der beste, der Lieblingstierdoktor war.
Kapitel 9
Der Bauer kam zwischen den Kühen hindurch und griff nach dem Schwanz meiner Patientin. Als ich seinen Haarschnitt sah, wußte ich sofort, daß Josh Anderson, der Friseur, wieder am Werke gewesen war. Es war Sonntagmorgen, und alles paßte zusammen. Ich hätte wirklich nicht zu fragen brauchen.
»Sie waren gestern abend im Fasanen, nicht wahr?« fragte ich unbekümmert, als ich das Thermometer einführte.
Er fuhr sich reumütig mit der Hand über den Kopf. »Ah, ja, war ich, und jetzt sitze ich da! Man sieht es, was? Meine Frau liegt mir auch schon dauernd damit in den Ohren.«
»Und Josh hatte wieder mal einen zuviel, was?«
»Ja, hatte er. Ich hätte es wissen müssen – an einem Sonnabendabend. Es ist meine Schuld.«
Josh Anderson war einer der Friseure am Ort. Er liebte seinen Beruf, aber er liebte auch das Bier. Und er war seinem Beruf so ergeben, daß er abends seine Schere und seine Haarschneidemaschine mitnahm, wenn er in die Kneipe ging. Für ein Maß Bier machte er jedem auf der Herrentoilette einen Schnellschnitt.
Die Stammkunden vom Fasanen waren längst nicht mehr überrascht, wenn sie in der Toilette einen Kunden von Josh Anderson vorfanden, der brav auf dem Klositz hockte, während der Meister schnippelnd um seinen Kopf herumtanzte. Aber die Kunden von Josh wußten, daß sie sich auf ein Risiko einließen. Wenn die Einnahmen des Friseurs bescheiden geblieben waren, kamen sie relativ ungeschoren davon, denn die Haarmode in Darrowby war nicht sonderlich anspruchsvoll. Doch wenn Josh nur ein wenig über den Durst getrunken hatte, konnten schreckliche Dinge passieren.
Bisher hatte Josh noch niemandem das Ohr abgeschnitten, jedenfalls war nichts dergleichen bekannt geworden. Aber wenn man am Sonntag oder Montag durch das Städtchen ging, konnte man schon äußerst seltsame Frisuren erblicken.
Ich betrachtete den Kopf des Bauern. Meiner Erfahrung nach mußte Josh etwa beim zehnten Maß Bier gewesen sein, als er diesen Haarschnitt verbrochen hatte. Die rechte Kotelette war zum Beispiel ordentlich getrimmt, während die linke ganz und gar verschwunden war. Das Haar oben auf dem Kopf sah aus, als sei Josh auf gut Glück mit der Schere hindurchgefahren. An einigen Stellen war der Kopf kahl, an anderen hing das Haar in langen Büscheln. Den Hinterkopf konnte ich nicht sehen, aber bestimmt bot auch er einen interessanten Anblick – vielleicht hing dort ein Zopf oder etwas Ähnliches.
Ja, dachte ich, es war bestimmt nach dem zehnten Maß. Nach zwölf bis vierzehn Maß ließ Josh alle Vorsicht fahren. Er fuhr dann einfach mit der Haarschneidemaschine über den Kopf seines Opfers und ließ nur vorn ein Haarbüschel stehen. Der klassische geschorene Sträflingskopf, der den Besitzer nötigte, mehrere Wochen lang ständig eine über beide Ohren gezogene Mütze zu tragen.
Ich ging immer auf Nummer sicher. Wenn ich mir die Haare schneiden lassen mußte, ging ich zur
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