Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
ist unbezahlbar.«
    Ich wollte ihm gerade zustimmen, als er die Hand hob. »Warten Sie einen Moment, ich hole sie runter.«
    Er wohnte über dem Laden, und er polterte mit schweren Schritten die Treppe hinauf. Mit einer kleinen Hündin auf dem Arm kehrte er polternd zurück.
    »Da ist sie, Mr. Herriot. Was halten Sie von ihr?« Er setzte sie vor mich auf den Boden, damit ich sie ansehen konnte.
    Ich betrachtete das kleine Tier. Es hatte ein hellgraues, langes gekräuseltes Fell. Auf den ersten Blick sah es aus wie eine Miniaturausgabe eines Wensleydale-Schafs. Eindeutig ein Kerlchen von verwirrender Abstammung, aber die sich an mich drängende Schnauze und der wedelnde Schwanz zeugten von seiner Gutartigkeit.
    »Ich mag Ihren Hund«, sagte ich. »Ich glaube, Sie haben sich den richtigen ausgesucht.«
    »Das glauben wir auch.« Er stupste die kleine Hündin an und streichelte sie, und ich bemerkte, daß er eine lange Haarsträhne hochnahm und sie sanft zwischen Zeigefinger und Daumen zwirbelte. Es sah komisch aus, aber dann fiel mir ein, daß es genau das war, was er auch bei seinen Kunden tat. »Ja, wir haben sie Venus genannt«, sagte er.
    »Venus?«
    »Weil sie so schön ist.« Sein Ton war ganz ernst.
    »Aha«, sagte ich. »Ich verstehe.«
    Er wusch sich die Hände, griff nach der Schere, nahm eine Strähne meines Haars und zwirbelte sie sanft zwischen Zeigefinger und Daumen, bevor er sie abschnitt.
    Ich verstand nicht, warum er das tat, aber ich war so mit anderen Dingen beschäftigt, daß ich nicht weiter darüber nachdachte. Ich mußte mich wappnen. Mit der Schere war es noch nicht so schlimm – es gab nur jedesmal einen unangenehmen Ruck, wenn die stumpfen Blätter sich schlossen.
    Als er nach der Haarschneidemaschine griff, umklammerte ich die Stuhllehnen, als sei ich beim Zahnarzt. Solange er über meinen Hinterkopf fuhr, war noch alles in Ordnung, aber am Ende der Bahn, wenn der Dreh des Handgelenks kam und die letzten Haare mitsamt den Wurzeln ausgerissen wurden, verzog sich mein Gesicht, wie ich im Spiegel sah, jedesmal zu einer Grimasse. Hin und wieder entfuhr mir versehentlich ein schmerzliches »Oh!«, aber Josh war nicht anzumerken, ob er es gehört hatte.
    Ich kannte das nun schon seit Jahren. Ich hatte oft genug in seinem Laden gesessen und die halberstickten Schmerzensschreie anderer Kunden gehört, aber nie hatte der Friseur irgendeine Reaktion gezeigt.
    Es war nämlich so, daß er sich, obwohl er nicht im geringsten arrogant oder eingebildet war, für einen begnadeten Haarschneider hielt. Auch jetzt, als er mich zum Schluß noch einmal überkämmte, strahlte er vor Stolz über das ganze Gesicht. Den Kopf auf die Seite gelegt, tätschelte er mein Haar immer wieder, drehte den Stuhl, um mich von allen Seiten zu betrachten, und stutzte hier und da noch ein Büschel, ehe er mir den Handspiegel reichte.
    »Gut so, Mr. Herriot?« fragte er mit der Zufriedenheit eines Mannes, der weiß, daß er seine Sache gut gemacht hat.
    »Wunderbar, Mr. Anderson, sehr schön.« Die Erleichterung, daß es vorbei war, verlieh meiner Stimme Wärme.
    Er machte eine leichte Verbeugung. »Sie wissen ja, Mr. Herriot: es ist leicht, einem Kunden Haar abzuschneiden. Das Geheimnis ist, zu wissen, was man stehenlassen soll.«
    Ich hatte das schon Hunderte von Malen gehört. Trotzdem lachte ich, während er mir mit seiner Kleiderbürste über meine Jacke fuhr.
    Mein Haar pflegte damals sehr schnell zu wachsen, und bevor ich ihm den nächsten Besuch machen konnte, stand er eines Tages vor meiner Tür. Ich trank gerade Tee, als es anhaltend klingelte.
    Er hatte Venus auf dem Arm. Aber das fröhliche kleine Hündchen, das ich im Laden gesehen hatte, war kaum noch wiederzuerkennen. Aus seiner Schnauze lief Speichel, es würgte und fuhr sich dauernd mit der Pfote ins Gesicht.
    Josh sah bestürzt aus. »Meine arme Venus! Sie erstickt, Mr. Herriot. Sehen Sie sich das an! Sie stirbt, wenn Sie nicht schnell etwas tun.«
    »Moment, Mr. Anderson. Sagen Sie doch, was ist passiert? Hat sie etwas verschluckt?«
    »Ja, einen Hühnerknochen.«
    »Aha, einen Hühnerknochen! Wissen Sie nicht, daß Sie einem Hund nie Hühnerknochen geben dürfen?«
    »Doch, ich weiß, ich weiß. Aber wir hatten Huhn zu Mittag, und sie hat sich das Gerippe aus dem Mülleimer geholt, die kleine Diebin. Sie hat eine ganze Menge davon gefressen, ehe ich es gemerkt habe, und jetzt ist sie am Ersticken.« Er starrte mich an, seine Lippen zitterten. Er war den Tränen

Weitere Kostenlose Bücher