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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Sekundärzufuhr von Staphylokokken oft einer Heilung im Wege stand, machte ich dem Hund eine Injektion von Staphylokokken-Toxoiden. Außerdem begann ich, Amber mit Fowler’s Arsenlösung zu behandeln, einem weit verbreiteten Mittel bei der Behandlung von Hautkrankheiten.
    Zehn Tage vergingen. Ich fing wieder an zu hoffen, und so war es eine herbe Enttäuschung für mich, als eines Morgens nach dem Frühstück Schwester Rose anrief.
    Ihre Stimme zitterte. »Mr. Herriot, Ambers Zustand verschlechtert sich zusehends. Nichts scheint mehr anzuschlagen. Allmählich glaube ich, es wäre besser...«
    Ich fiel ihr mitten im Satz ins Wort. »In Ordnung, ich bin in einer Stunde bei Ihnen. Geben Sie die Hoffnung noch nicht auf.«
    Ich hatte sie mit diesen Worten trösten wollen. Aber ich hatte selber kaum noch Hoffnung. Ich hatte versucht, ihr etwas Hilfreiches zu sagen, weil Schwester Rose es haßte, einen Hund einschläfern zu lassen. Hunderte von Tieren waren durch ihre Hände gegangen, und ich konnte mich nur an einige wenige Fälle erinnern, in denen sie kapituliert hatte. Das waren Hunde gewesen mit chronischen Nieren- oder Herzbefunden, und auch ein paar junge, die Staupe gehabt hatten. Bei allen anderen hatte sie gekämpft, bis sie so weit wiederhergestellt waren, daß sie zu ihren neuen Besitzern konnten. Aber es war nicht nur Schwester Rose – auch ich selbst schreckte davor zurück, Amber einzuschläfern. Der Hund hatte irgend etwas an sich, was mich verzaubert hatte.
    Als ich bei Schwester Rose ankam, hatte ich noch keine Ahnung, was ich tun wollte, und war selber überrascht, als ich mich sagen hörte: »Schwester, ich bin gekommen, um Amber mit zu mir zu nehmen. Dann kann ich sie jeden Tag selbst behandeln. Sie haben genug zu tun, sie müssen sich ja auch um die anderen Hunde kümmern. Ich weiß, Sie haben getan, was Sie tun konnten. Aber jetzt möchte ich Ihnen diese Sorge abnehmen.«
    »Wie wollen Sie das tun? Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Wie wollen Sie die Zeit dazu finden?«
    »Ich kann Amber abends behandeln, oder wenn ich mal einen Augenblick Ruhe habe. So kann ich auch jederzeit feststellen, ob sie Fortschritte macht. Ich bin entschlossen, sie durchzubringen.«
    Als ich zurückfuhr, war ich selber überrascht über die Tiefe meiner Gefühle. Ich hatte schon manchmal den geradezu zwanghaften Wunsch verspürt, ein Tier zu heilen, aber noch nie so stark wie bei Amber. Die junge Hündin war entzückt, bei mir im Wagen zu sein. Sie schien es, wie sie es bei allem tat, als ein neues Spiel zu betrachten: sie hüpfte herum, leckte mir das Ohr, legte ihre Pfoten auf das Armaturenbrett und starrte durch die Windschutzscheibe. Ich warf einen Blick auf ihr glückliches Gesicht, das von der Krankheit gezeichnet und mit Odylen beschmiert war, und schlug mit der Faust auf das Lenkrad. Eine demodektische Räude war die Hölle, aber ich würde nicht aufgeben.
    Es begann eine seltsam intensive Zeit in meinem Leben, die mir noch heute, über dreißig Jahre später, lebhaft in Erinnerung ist. Wir waren noch nicht darauf eingerichtet, Tiere bei uns unterzubringen – sehr wenige Tierärzte waren das damals –, aber ich bereitete im alten Stall im Hof ein bequemes Lager für Amber. Ich nagelte eine der Boxen mit einem halbhohen Holzbrett zu und machte auf dem Boden ein Bett aus Stroh. Trotz seines Alters war der Stall ein solides Gebäude, in dem es nicht zog. Amber würde es behaglich haben.
    In einem wollte ich sichergehen: ich wollte Helen aus der Sache heraushalten. Ich erinnerte mich, wie niedergeschlagen sie gewesen war, als wir Oscar, den Kater, den wir adoptiert hatten, an seinen rechtmäßigen Besitzer verloren. Und ich wußte auch, daß sie über kurz oder lang ganz vernarrt sein würde in diesen liebenswerten Hund. Aber bei dieser Rechnung hatte ich mich selbst vergessen.
    Tierärzte würden es in ihrem Beruf nicht lange aushalten, wenn sie sich allzusehr auf ihre Patienten einließen. Andererseits wußte ich aus Erfahrung, daß die meisten meiner Kollegen genau so verrückt mit Tieren waren wie ihre Besitzer. Doch bevor ich wußte, was geschah, war ich vernarrt in Amber.
    Ich fütterte sie selbst, wechselte ihr Stroh, behandelte sie. Ich sah so oft wie möglich am Tag nach ihr, aber wenn ich heute an sie denke, sehe ich sie immer nachts. Es war Ende November, und es war schon kurz nach vier dunkel – bei meinen letzten Besuchen mußte ich oft in finsteren Kuhställen umhertasten. Wenn ich nach Hause kam,

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