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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Barbiturat und die Spritze in meine Jackentasche, bevor ich zu ihr in die Box kletterte. Lange Zeit spielte ich mit ihr. Ich klopfte ihr den Rücken und sprach mit ihr, während sie an mir hochsprang. Dann zog ich die Spritze auf.
    »Setz dich, Amber«, sagte ich, und gehorsam ließ sie sich auf ihr Hinterteil fallen. Ich griff nach ihrem rechten Vorderbein, um über dem Ellbogen die Vene zu stauen. Haare brauchte ich ihr nicht abzuschneiden – sie waren alle ausgegangen. Amber sah mich interessiert an und schien sich zu fragen, was das für ein neues Spiel sein mochte, als ich die Nadel in die Vene schob. Ich mußte daran denken, daß es diesmal nicht nötig war, die Dinge zu sagen, die ich sonst in solchen Fällen sagte: »Sie wird nichts merken.« Oder: »Es ist nur eine Überdosis eines Betäubungsmittels.« Oder: »Es ist ein leichter Tod.« Es war kein bekümmerter Besitzer da, der mich hören konnte. Wir waren allein, Amber und ich.
    Und als ich murmelte: »Braver Hund, Amber, du bist ein guter braver Hund«, während sie ins Stroh sank, hatte ich das Gefühl, daß die Worte, die ich sonst sagte, auch diesmal wahr gewesen wären. Sie hatte nichts gemerkt, so verspielt und so unachtsam sie gewesen war, und es war tatsächlich ein leichter Tod, wenn ich bedachte, daß das Leben ihr bald zur Folter geworden wäre.
    Ich kletterte aus der Box heraus und machte die Scheinwerfer aus. Noch nie, so schien mir, war der Hof so leer und dunkel und kalt gewesen. Das Gefühl des Verlustes und des Scheiterns nach so vielen Wochen war übermächtig, aber wenigstens war ich in der Lage gewesen, Amber die schlimmste Not zu ersparen – die inneren Abszesse und die Blutvergiftung, die einen an fortschreitender und unheilbarer demodektischer Räude leidenden Hund erwarten.
    Lange Zeit trug ich eine Last mit mir herum, und ein bißchen davon fühle ich jetzt noch, nach all den Jahren. Ambers Tragödie war, daß sie zu früh geboren wurde. Heute können wir die meisten Fälle von demodektischer Räude durch Langzeitgaben von organischen Phosphaten und Antibiotika heilen. Damals gab es diese Medikamente noch nicht.
    In den letzten Jahren haben wir die meisten Kämpfe gegen die Räude gewonnen. Ich kenne mehrere schöne Hunde in Darrowby, die wir heilen konnten, und wenn ich sie zuweilen sehe, gesund und mit schimmerndem Fell, sehe ich Amber wieder vor mir. Es ist immer dunkel, und sie steht wartend im Licht der Scheinwerfer.

Kapitel 11
     
    »Jetzt sehen Sie sich das an«, sagte der Farmer.
    »Was?« Ich säuberte gerade eine Kuh, das heißt, ich entfernte die Nachgeburt, und mein Arm steckte tief im Uterus der Kuh. Ich drehte den Kopf und sah, wie er auf den Boden unter meiner Patientin deutete. Ich sah vier milchig-weiße Rinnsale über den Zementboden laufen, die aus dem Euter des Tieres kamen.
    Er grinste. »Das ist komisch, nicht?«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Es ist eine Reflexhandlung, hervorgerufen durch mein Herumhantieren in ihrem Uterus. Sie wird ausgelöst durch eine Drüse im Gehirn, die die Milch zum Fließen bringt. Ich habe schon oft beobachtet, daß die Kühe Milch geben, wenn ich die Nachgeburt hole.«
    »Wirklich merkwürdig.« Der Bauer lachte. »Dann sehen Sie nur zu, daß Sie schnell fertig werden, sonst muß ich Ihnen den Preis von ein paar Maß Milch von der Rechnung abziehen.«
    Das war 1947, im Jahr des großen Schnees. Ich habe nie vorher und auch nie nachher so viel Schnee gesehen. Und das Seltsame war, daß es so lange dauerte, bis er fiel. Im November passierte nichts, und wir hatten ein grünes Weihnachtsfest, aber danach wurde es immer kälter. Den ganzen Januar hindurch blies ein steifer Nordostwind, der offenbar direkt vom Nordpol kam. Gewöhnlich kam nach solchem Wetter sehr bald Schnee, und damit wurde es wieder ein bißchen wärmer. Aber nicht im Jahre 1947.
    Jeden Tag dachten wir: Kälter kann es nun nicht mehr werden. Aber es wurde kälter. Und dann, an einem der letzten Tage des Monats, trug der Wind ganz feine Flocken heran. Sie waren so fein, daß man sie kaum sehen konnte, aber sie waren auch nur die Vorboten. Anfang Februar begann es in unserer Gegend in großen dicken Flocken zu schneien, stetig und ohne Ende, und wir wußten, nach allem, was sich da zusammengebraut hatte, daß wir dran waren.
    Woche für Woche schneite es, manchmal sanft und träge, so daß die Flocken wie ein Vorhang waren, der unbarmherzig alle vertrauten Wahrzeichen und Markierungen begrub, manchmal in

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