Voodoo Holmes Romane (German Edition)
sinnieren. Ich habe keine Ahnung, wo er sich dieses ganze Wissen zusammenholte, und ob er überhaupt wusste, was er mit seinen Informationen bei mir anrichtete. Einmal erzählte er mir von Rosengewächsen. So sei der Apfel aus der Rose hervorgegangen, ebenso wie die Himbeere oder die Hagebutte. All das seien Spielformen der Rose, die an sich auch so vielfältige Sorten kennt, daß man sich scheut, von Sorten zu sprechen und lieber sagen würde: Familien. Rosen scheinen wie Menschen kleine Grüppchen zu bilden und dabei ihre Erbanlagen so differenziert weiterzugeben, daß keine Rose der anderen gleicht. Ich nahm unter diesen Worten den Apfel, der vom Nachtisch übrig geblieben war, betrachtete ihn einige Sekunden und warf ihn schließlich mit großer Treffsicherheit durch die Terrassentür ins Freie, was Holmes zum Lachen veranlasste: „Der Apfel des Paris!“ rief er, „großartig, Watson. Sie werden noch zum wandelnden Eros. Wen wohl Ihr Pfeil diesmal getroffen hat?“ Schon lief er ans Fenster, um zu sehen, ob der Apfel einen Vorüberschreitenden an der Birne getroffen hatte. Jener war aber, wie er enttäuscht bemerkte, achtlos im Rasen des Vorgartens liegen geblieben. Die vorwiegend deutschen Besucher des Hotels aber, die um uns herum saßen, senkten ob unseren ungebührlichen Benehmens diskret die Blicke.
An einem anderen Tag gab es einen Vortrag über das Wesen der Rose im Kurhaus, den Holmes um jeden Preis besuchen wollte. Ich tat ihm den Gefallen und lauschte widerwillig dem Vortrag einer russischen Adeligen, die zwischendurch auf der Bratsche schwermütige Wolgalieder herunterkratzte, daß die Rose das Symbol für den Schoß der Frau schlechthin sei. Es war ein skandalöser Vortrag, der mit der Information begann, schon die ägyptische Prinzessin Cleopatra habe Rosenblätter und Rosenöl in ihrer Umgebung so intensiv angereichert, daß man sie, wenn sie über das Meer kam, zuerst roch, und dann erst das Segel ihres Kreuzers sah. Die betäubende Anziehungskraft, die sie auf alle Männer ausübte, und mit denen sie sie in Schach hielt, war also angeblich dem Rosenduft geschuldet. Übrigens war in dem Vortragsraum des Kurhauses die Zahl der Frauen, die Rosenparfüm aufgelegt hatten, so hoch, daß ich zwischendurch in eine rosenrote Ohnmacht fiel und dabei träumte, ein Insekt zu sein, daß in den Schlund einer Rosenblüte gesaugt wird, um dort aufgefressen zu werden. Aber das war gar kein Alptraum mehr, sondern schon fast eine Erleichterung. Wer eine Angst lange genug gepflegt hat, lernt bald, darüber zu lachen. Merkwürdig aber war das Erwachen. Ich glaubte, noch zu träumen, als ich vor mir einen Charakterkopf erblickte. Er saß drei Reihen vor mir auf seinem Stuhl, ein älterer Mann mit weißgrauen, lockigen Haaren und einer beginnenden Glatze. Sein Nacken war kräftig und gerötet, und dabei war mein erster Gedanke: Ist das nicht Lord Hogson? Tatsächlich. Er blickte suchend zur Seite, und da erkannte ich sein Gesicht. Da durchfuhr mich ein Schrecken, denn sein Blick schien Holmes zu treffen, der aufgrund des Platzmangels im Kurhaus fünf Reihen vor mir zu sitzen gekommen war.
Ich merkte, daß mein Herz zu klopfen begann. Ich kann nicht genau sagen, warum. Es mochte etwas mit der Art zu tun haben, wie seine Lordschaft Holmes betrachtete. Hinzu kam, daß seine Anwesenheit in dieser Stadt, wenn schon nicht ganz ungewöhnlich, so doch überraschend war. Engländer fuhren normalerweise im Sommer nach Davos oder Baden-Baden, oder nach Böhmen, selten aber in die Hauptstadt Ungarns. Konnte es ein Zufall sein, daß er in diesem Jahr Budapest als Ziel seiner Reise auserkoren hatte? Wie wahrscheinlich aber war es, daß er dabei sichtlich Interesse an
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