Voodoo
wollen.
»Das sind sie wohl«, sagte Max und lächelte die beiden an. Sie waren anständige Leute, hart arbeitende, ehrliche, von Grund auf gute Menschen. Und genau solche Menschen hatte er sich zu beschützen geschworen. »Danke für Ihre Hilfe. Und bitte machen Sie sich keine Vorwürfe wegen Claudettes Verschwinden. Sie hätten nichts dagegen unternehmen können. Gar nichts. Einbrecher und Mörder und Vergewaltiger kann man aufhalten, aber nicht Leute wie diesen orangefarbenen Mann, die sind unsichtbar. Nach außen hin sind es Menschen wie Sie und ich, meistens die letzten, die man verdächtigen würde.«
»Bitte finden Sie sie«, sagte Mathilde. »Mir ist egal, wer sie entführt hat. Ich will unsere Tochter nur zurück.«
41
»Glauben Sie immer noch, dass Vincent Paul Charlie entführt hat?«, fragte Chantale im Wagen. Sie waren auf dem Weg zum ersten Faustin, dessen Adresse auf der Telefonbuchseite verzeichnet war.
»Ich würde nichts ausschließen. Die Tatsache, dass er sich an der Suche nach Claudette beteiligt hat, bedeutet gar nichts. Ich will mir da erst eine Meinung bilden, wenn ich mit ihm geredet habe«, sagte Max und legte die zwei Drahtfiguren, die er mitgenommen hatte, zusammen mit ein paar Zeichnungen vom orangefarbenen Mann ins Handschuhfach. Er hatte vor, Joe die Figuren zu schicken, um sie auf Fingerabdrücke untersuchen zu lassen.
»Haben Sie schon eine Ahnung, wie Sie an ihn rankommen wollen?«
»Ich habe so das Gefühl, dass er zu mir kommen wird«, sagte Max.
»Es ist Ihre Show«, seufzte Chantale. Sie hatte kein Wort mehr über die Vorkommnisse im Tempel verloren, und sie schien auch nicht sauer auf ihn zu sein. Sie benahm sich völlig normal, lächelte oft und strahlend und lachte ihr dreckiges Lachen, ganz liebenswürdige Professionalität. Sie war schwer zu durchschauen. Eine vollendete Politikerin, Meisterin der aufgesetzten Freundlichkeit. Viele Büromenschen waren wie sie, durch und durch aufrichtig in ihrer Unaufrichtigkeit.
»Hat Ihr Mann mit Ihnen über seine Fälle gesprochen?«, fragte Max.
»Nein. Wir hatten es uns zur Regel gemacht, dass keiner seine Arbeit mit nach Hause bringt. Und Sie?«
»Als ich geheiratet habe, war ich nicht mehr bei der Polizei. Aber: ja, ich habe mit Sandra oft über meine Arbeit gesprochen.«
»Hat sie mal einen Fall für Sie geknackt?«
»Ja, oft sogar.«
»Hat Sie das nicht geärgert? Haben Sie nicht an Ihren Fähigkeiten gezweifelt?«
»Nein«, lachte Max und musste lächeln bei der Erinnerung. »Nie. Ich war stolz auf sie, richtig stolz. Ich war immer stolz auf sie.«
Sie mussten anhalten, weil die Straße verstopft war. Chantale musterte ihn, während sie warteten. Max erwischte sie dabei und versuchte zu lesen, zu welchen Schlüssen sie gelangt war. Aber sie ließ sich nichts anmerken.
Die ersten fünf Häuser von Faustins, die auf Max’ Liste standen, waren von einem Brand, dem Mob, der Armee, einem Hurrikan oder beim Absturz eines UN-Hubschraubers zerstört worden. Keiner in der Umgebung kannte einen Eddie Faustin.
Das nächste Haus, das sie aufsuchten, lag am Rande des Slums Carrefour. Es war das einzige intakte Gebäude an einer Straße, die sonst aus lauter Ruinen bestand, in denen die Leute mehr schlecht als recht hausten. Es stand ein Stück von der Straße zurückgesetzt, ein paar Treppenstufen führten hoch zur Haustür. Alle Fenster waren leer. Max fiel auf, dass die Scheiben zwar dreckig, aber allesamt heil waren. Sie klopften, aber niemand öffnete. Sie spähten durch die Fenster hinein. In den vorderen Zimmern standen Möbel. Nachdem Max Chantale hochgehoben hatte, damit sie über die Mauer gucken konnte, berichtete sie, dass an der Wäscheleine im Hinterhof weiße Laken hingen. Trotzdem schien das Haus verlassen.
Sie fragten mehrere Leute auf der Straße, wer in dem Haus lebte. Keiner wusste es, alle meinten, das Haus sei schon seit langer Zeit verlassen. Niemand ging hinein, niemand kam heraus.
»Wie kommt es, dass noch keine Leute von der Straße eingezogen sind?«, fragte Max.
Sie wussten es nicht.
Max beschloss, in der Nacht noch einmal zurückzukommen, um sich das Haus genauer anzusehen. Er wollte Chantale nicht dabei haben, wenn er dort einbrach. Er hatte ihr schon genug zugemutet.
Sie arbeiteten den Rest der Liste ab und sahen Häuser, deren Besitzer lange s chon ausgezogen waren und sie den Armen überlassen hatten. In dem Haus, das einst Jérôme Faustin gehört hatte, wimmelte es nur so von hungernden
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