Voodoo
legte. Die Stille war so vollkommen, im Zimmer war es so ruhig, dass Max draußen den Dobermann über den Kiesweg laufen und die Grillen zirpen hörte.
Allain sah gedemütigt aus. Er war rot angelaufen. Sein Vater hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und beobachtete das Unbehagen seines Sohnes mit einem amüsierten Lächeln auf den dicken Lippen.
»Ich muss mich für meine Frau entschuldigen«, sagte Allain zu Max. »Die Sache setzt ihr sehr zu. Uns allen natürlich, aber sie … sie hat es besonders hart getroffen.«
»Ich verstehe«, sagte Max.
Und das tat er. Es gab zwei Arten, wie Eltern mit dem Verlust eines Kindes umgingen: Die einen rechneten mit dem Schlimmsten, die anderen gaben die Hoffnung nicht auf. Erstere schlugen sich wacker, durchlebten ihren Schmerz, legten sich ein dickeres Fell zu, wurden misstrauisch und intolerant. Letztere kamen nie darüber hinweg. Sie zerbrachen. Sie verloren alles, was sie je geliebt und wofür sie gelebt hatten. Die meisten starben jung – Krebs, Alkohol, Drogen. Max konnte die beiden Typen auf den ersten Blick unterscheiden, wenn sie noch auf der Schwelle ihrer ersten Trauer standen, sie noch nicht überschritten hatten. Er hatte sich noch nie geirrt, bis jetzt. Er hatte geglaubt, dass die Carvers damit zurechtkommen würden, dass sie es schaffen würden. Francescas Ausbruch hatte ihn eines Besseren belehrt.
Er steckte sich einen Grillot in den Mund.
»Sie war mit Charlie im Auto, als er entführt wurde«, bemerkte Allain.
»Erzählen Sie mir, wie es passiert ist«, sagte Max.
»Es war kurz vor der Invasion der Amerikaner. Francesca ist mit Charlie nach Port-au-Prince gefahren, er musste zum Zahnarzt. Auf dem Weg wurde das Auto von einer aufgebrachten Menschenmenge umringt. Sie haben den Wagen demoliert und Charlie rausgeholt.«
»Was ist mit ihr passiert?«
»Sie hat einen Schlag abgekriegt und wurde bewusstlos. Sie ist mitten auf der Straße wieder aufgewacht.«
»Hatte sie keine Bodyguards?«, fragte Max.
»Doch, den Chauffeur.«
»Nur den?«
»Er war sehr gut.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Wir vermuten, dass er umgebracht wurde«, sagte Allain.
»Sagen Sie«, fragte Max, »war Ihre Frau oft im Fernsehen? Oder in der Zeitung?«
»Nein … einmal vielleicht, bei einem Empfang für den amerikanischen Botschafter vor ein paar Jahren. Warum?«
»Und Ihr Sohn? War der oft in der Zeitung?«
»Nie. Worauf wollen Sie hinaus, Max?«
»Ihr Fahrer.«
»Was ist mit dem?«
»Wie heißt er überhaupt?«, fragte Max.
»Eddie. Eddie Faustin«, antwortete Allain.
Faustin? Max’ Herz setzte einen Schlag aus. Konnte dieser Faustin ein Verwandter von Salazar Faustin vom Saturday Night Barons Club sein? In diese Richtung wollte er lieber nicht denken, noch nicht.
»Könnte der Charlies Entführung geplant haben?«
»Eddie Faustin war zu blöd, sich die Schnürsenkel zu binden, geschweige denn eine Entführung zu planen«, sagte Gustav. »Trotzdem ein guter Mann. Sehr, sehr, sehr loyal. Er würde sich ein Bein ausreißen für einen und nicht mal nach einem Aspirin gegen die Schmerzen fragen. Einmal hat er sich einer Kugel in den Weg geworfen, die für mich bestimmt war, wussten Sie das? Er hat nicht ein Mal geklagt. Eine Woche später war er wieder bei der Arbeit. Er und sein Bruder waren Macoutes, Mitglieder der Miliz. Nicht viele Menschen haben sie gemocht, wegen allem, was sie unter den Duvaliers getan haben, aber alle haben sie gefürchtet.«
Ja : Sie waren es . Max erinnerte sich. Salazar hatte der haitianischen Geheimpolizei angehört . Da war ihm die Skrupellosigkeit antrainiert worden . Diese Geschichten , die er ihnen beim Verhör erzählt hatte , von Initiationsriten , bei denen sie gegen Pitbulls kämpfen und mit den bloßen Händen einen Menschen totschlagen mussten . Sie waren es . Sie gehörten der gleichen glücklichen Familie an . Behalt das für dich .
»Vielleicht hatten die Leute es auf ihn abgesehen«, bemerkte Max.
»Daran haben wir auch schon gedacht, aber ihn hätten sie sich jederzeit vornehmen können. Alle Welt wusste, dass er für uns gearbeitet hat. Und alle Welt weiß, wo wir zu finden sind«, sagte Allain.
»Einschließlich der Entführer, richtig? Sind Sie ganz sicher, dass er nicht dahinter steckt oder vielleicht beteiligt war?«, fragte Max an Gustav gewandt.
»Nein, Eddie hat damit nichts zu tun, darauf würde ich mein Leben verwetten«, sagte der alte Mann. »Auch wenn es noch so gut ins Bild passen würde.«
Max
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