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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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Mund hing und auf und nieder hüpfte, als die Menge singend und tanzend mit ihrer Trophäe Richtung Slums zog.
    Bei den nachfolgenden Ereignissen war sich der Eisverkäufer nicht mehr ganz so sicher. Die wenigen Leute, die zurückgeblieben waren, machten sich daran, den Wagen auszuweiden. Dann waren drei Jeeps gekommen, Vincent Paul mit seinen Männern, und alles war auseinandergelaufen. Paul hatte herumgeschrien und war die Straße hoch- und runtergerannt, hatte nach dem Jungen und der Frau gefragt. Irgendjemand hatte in die Richtung gezeigt, in die der Mob mit Faustins Kopf verschwunden war. Pauls Männer hatten Roses Leiche in einen der Jeeps gelegt und waren mit hoher Geschwindigkeit davongefahren.
    Was danach passierte, habe er nie herausfinden können, sagte der Mann. Das Ganze war wenige Tage vor der amerikanischen Invasion geschehen, sagte er, als die haitianische Armee und die Milizen durch die Straßen liefen und wahllos arme Wohnviertel beschossen oder abfackelten. In dem Klima der Angst und des Schreckens war vieles durcheinander geraten, vergessen worden oder unbeachtet geblieben.
    Max dankte ihm und drückte ihm fünfhundert Gourdes in die Hand. Der Eisverkäufer betrachtete die Scheine, schüttelte Max kräftig die Hand und versprach, bei seinem nächsten Besuch im Tempel eine kleine Opfergabe für ihn darzubringen.

19
    Die alte Frau sah genauso aus, wie Francesca sie beschrieben hatte. Sie saß in einem verblassten rosa Kleid auf der Veranda vor einem Schuhmachergeschäft am anderen Ende des Boulevard des Veuves. Die Vorderfront des Hauses, in dem sich das Geschäft befand, zierte ein großes Wandgemälde: Ein schwarzer Mann in Latzhose, die Ärmel des weißen Hemds aufgerollt, hämmerte auf eine Schuhsohle ein, ein barfüßiges Kind sah ihm zu, in der Mitte ein Engel, der über allem wachte. Einen anderen Hinweis auf den Laden gab es nicht. Die Tür stand offen, dennoch herrschte drinnen eine undurchdringliche Dunkelheit, gegen die auch das Sonnenlicht nicht ankam. Auf der anderen Straßenseite, direkt der Frau gegenüber, hatte jemand ein Plakat von Charlie aufgehängt.
    Chantale stellte Max und sich vor und erklärte der Frau, warum sie hier waren. Die Frau winkte Chantale näher heran und sagte, sie müsse ihr ins Ohr sprechen, was Max nicht weiter überraschte. Bei dem Geschrei der Leute, die den Straßenverkehr zu übertönen versuchten, der sich dröhnend und hupend durch die verstopfte Straße quälte, hatte er sie selbst kaum verstanden.
    Die Frau hörte angestrengt zu und sprach laut, wie Schwerhörige es tun, und trotzdem klang ihre Stimme nuschelig, als kämen ihr die Worte nur schwer über die Lippen.
    »Sie sagt, sie hat alles gesehen. Sie hat genau hier gesessen«, sagte Chantale.
    »Was hat sie gesehen?«, fragte Max, und Chantale übersetzte, kaum dass die Frau ihren Satz beendet hatte.
    »Sie sagt, sie hat gehört, Sie bezahlen die Leute für ihre Erinnerungen.«
    Mit einem breiten Lächeln gewährte die Frau Max einen Blick auf die Überreste ihres Gebisses: zwei krumme, fleckige Eckzähne, die eigentlich in das Maul eines bösartigen Hundes gehörten. Ganz kurz blickte sie über die Schulter zurück in die offene Ladentür, nickte, schaute von Max zu Chantale und redete dann leise auf ihre Dolmetscherin ein. Chantale verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen und schüttelte den Kopf, bevor sie Max übersetzte, was die Alte gesagt hatte.
    »Sie will mehr, als Sie dem Letzten gegeben haben.«
    »Nur wenn sie die Wahrheit sagt und wenn wir was damit anfangen können.«
    Die Frau lachte, als sie hörte, was Max gesagt hatte. Mit einem Finger, der krumm und dürr war wie ein Zweig, zeigte sie auf die andere Straßenseite, wo das Plakat von Charlie hing.
    »Da drüben war er«, ließ sie von Chantale übersetzen.
    »Wer?«, fragte Max.
    »Der große Mann …«, sagte sie, »der Größte.«
    Vincent Paul?
    »Hatten Sie den vorher schon mal gesehen?«
    »Nein.«
    »Haben Sie ihn danach noch mal gesehen?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie Vincent Paul?«
    »Nein.«
    »Wie wird er hier noch genannt?«, fragte Max.
    » Le Roi Soleil? «, fragte Chantale die Frau und erntete einen fragenden Blick. Sie hatte keine Ahnung, wovon Chantale redete.
    »Okay. Dieser Mann: Was hat er gemacht?«
    »Er ist gerannt«, lautete die Antwort, dann deutete sie mit dem Kopf auf das Plakat auf der anderen Straßenseite, »mit dem Jungen da.«
    »Mit dem Jungen?«, fragte Max und zeigte auf Charlies Gesicht.

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