Vor aller Augen
Stellen Sie Ihre Fragen.«
Sie war eine tapfere Frau und berichtete mir von der Entführung, gab eine gute Beschreibung der Frau und des Mannes, die sie überwältigt hatten. Diese passte auf Slava Vasilev und Zoya Petrov. Dann schilderte mir Audrey Meek das Ritual des Tagesablaufs, als sie von dem Mann, der sich Kunstdirektor nannte, festgehalten wurde.
»Er sagte, er würde mich gern bedienen, dass ihm das ungemeines Vergnügen bereitete. Es war, als sei er daran gewöhnt, untertänig zu sein. Aber ich spürte auch, dass er mein Freund sein wollte. Es war einfach abartig. Er hatte
mich im Fernsehen gesehen und Artikel über Meek gelesen, meine Firma. Er erklärte, dass er mein Stilgefühl bewunderte und dass ich offenbar nicht arrogant sei. Dann zwang er mich, mit ihm zu schlafen.«
Audrey Meek hielt sich fabelhaft. Ihre Kraft verblüffte mich, und ich fragte mich, ob der Mann, der sie gefangen gehalten hatte, dies ebenfalls bewundert hatte.
»Kann ich Ihnen Wasser bringen? Oder etwas anderes?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sein Gesicht gesehen«, fuhr sie fort. »Ich habe sogar versucht, es für die Polizei zu zeichnen. Ich glaube, das Bild ist ziemlich gut geworden. So hat er ausgesehen.«
Das Ganze wurde immer eigenartiger. Warum lieà der Kunstdirektor zu, dass sie ihn genau sah, und gab sie danach frei? So etwas war mir noch in keinem Entführungsfall begegnet.
Audrey Meek seufzte und bewegte nervös die Hände, als sie weitersprach. »Er gab zu, zwanghaft besessen zu sein. In Bezug auf Sauberkeit, Kunst, Stil und die Liebe zu einem anderen Menschen. Er gestand mir mehrere Male, dass er mich anbetete. Ãber sich selbst sprach er oft abfällig. Habe ich Ihnen schon von dem Haus erzählt?«, fragte sie. »Ich bin nicht sicher, was ich Ihnen erzählt habe und was den Polizisten, die mich gefunden haben.«
»Ãber das Haus haben Sie mir noch nichts gesagt«, erwiderte ich.
»Es war in etwas eingehüllt, wie schweres Zellophan. Es erinnerte mich an Kunst. An Christo. Innen waren Dutzende von Gemälden. Sehr gute. Sie dürften ein Haus, das in Zellophan eingewickelt ist, mit Sicherheit finden.«
»Wir werden es finden«, versicherte ich ihr. »Wir suchen bereits danach.«
Die Tür des Zimmers, in dem wir saÃen, öffnete sich einen Spalt. Ein Polizist steckte den Kopf herein, dann machte er die Tür weit auf und Audrey Meeks Mann Georges und ihre beiden Kinder stürmten herein. Bei Entführungsfällen kam so etwas unglaublich selten vor, besonders, wenn das Opfer länger als eine Woche vermisst war. Die Kinder schauten anfangs ängstlich drein. Ihr Vater schob sie liebevoll vorwärts. Dann kam die groÃe Freude. Tränen liefen über die strahlenden Gesichter. Alle umarmten sich, als wollten sie sich nie wieder trennen.
»Mami, Mami, Mami!«, schrie das Mädchen.
Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich ging zum Schreibtisch. Audrey Meek hatte zwei Zeichnungen angefertigt. Ich blickte auf das Gesicht des Mannes, der sie gefangen gehalten hatte. Er sah durchschnittlich aus, wie irgendjemand, den man auf der StraÃe trifft.
Der Kunstdirektor.
Warum hat er sie freigelassen? , fragte ich mich.
51
Gegen Mitternacht fiel uns ein weiterer möglicher Glücksfall in den SchoÃ. Die Polizei hatte Informationen über ein Haus in Ottsville, Pennsylvania, das in Plastikfolie eingehüllt war. Ottsville war ungefähr dreiÃig Meilen entfernt. Wir fuhren mit mehreren Autos mitten in der Nacht los. Es war ein langer Tag gewesen, aber niemand beschwerte sich.
Als wir bei dem Haus eintrafen, erinnerte mich die Szene
an mein früheres Leben bei der Polizei in Washington. Dort hatten die Polizisten auch oft auf mich gewartet. Drei Limousinen und zwei schwarze Vans parkten vor einer Kurve an dem Waldweg, der zum Haus führte. Ned Mahoney war gerade aus Washington eingetroffen. Gemeinsam gingen wir zu Eddie Lyle, dem hiesigen Sheriff.
»Nirgends im Haus brennt Licht«, sagte Mahoney, als wir uns dem vor kurzem renovierten Blockhaus näherten. Einziger Zugang zu dem abgeschiedenen Grundstück war der Waldweg. Seine HRT-Leute warteten auf sein Kommando.
»Es ist nach eins«, sagte ich. »Trotzdem könnte er auf uns warten. Meiner Meinung hat dieser Typ etwas Verzweifeltes an sich.«
»Wieso das?«, fragte Mahoney. »Ich
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