Vor aller Augen
Gefühl im Innern. Das Wasser kühlte, erfrischte und belebte. Danach spürte sie neue Kraft.
Fast den ganzen Tag â oder das, was sie für einen Tag hielt â hatte sie über eine Flucht nachgedacht. Jetzt widmete sie sich anderen Dingen.
Sie lieà an sich vorüberziehen, was sie über dieses Haus wusste â dieses dunkle Loch â und über diesen schrecklichen, bösartigen Mann, der sie gefangen hielt. Der Wolf. So nannte sich der Dreckskerl. Warum der Wolf?
Sie war irgendwo in einer Stadt. Sie war ziemlich sicher, dass diese Stadt im Süden lag und ziemlich groà war. Vielleicht Florida. Sie wusste aber nicht, weshalb sie das glaubte.
Vielleicht hatte sie etwas belauscht und unbewusst registriert. Wenn groÃe Partys im Haus stattfanden, hatte sie viele Stimmen gehört, aber sie glaubte, dass ihr widerlicher Peiniger allein lebte. Wer könnte auch mit so einem grässlichen Scheusal zusammenleben? Jedenfalls keine Frau.
Sie kannte einige seiner Gewohnheiten auswendig. Für gewöhnlich schaltete er den Fernseher ein, sobald er nach Haus kam, meistens CNN. Er sah ständig Nachrichtensendungen. AuÃerdem mochte er Krimis, wie Law and Order, CSI und Homicide . Der Fernseher lief ständig, bis spät in die Nacht.
Er war groà und kräftig und ein Sadist, aber er hütete sich, ihr wirklich wehzutun â bis jetzt zumindest. Das bedeutete â was bedeutete es? -, dass er sie noch eine Zeit lang bei sich behalten wollte?
Wenn Lizzie allerdings durchdrehte, würde er so wütend werden, dass er ihr das Genick brechen würde. Damit drohte er ihr jeden Tag mehrmals. »Ich brech dir deinen kleinen Hals. Einfach so! Glaubst du mir nicht? Du solltest mir glauben, Elizabeth.« Er nannte sie immer Elizabeth, nicht Lizzie. Er erklärte ihr, der Name Lizzie sei nicht schön genug für sie. »Ich breche dir dein ScheiÃgenick, Elizabeth.«
Er wusste eine Menge über sie und auch über Brendan, Brigid, Merry und Gwynnie. Er drohte ihr, nicht nur sie umzubringen, sondern auch ihre gesamte Familie, falls sie ihn wütend machte. »Ich fliege nach Atlanta. Nur so zum SpaÃ. Für solche Sachen lebe ich. Ich kann deine ganze Familie auslöschen, Elizabeth.«
Er begehrte sie immer stärker. Sie war eindeutig fähig, zu spüren, wenn ein Mann sie so begehrte. Also hatte sie doch eine gewisse Kontrolle über ihn, oder nicht? Nicht schlecht! Ich werde dich auch quälen, du dreckiges Schwein!
Manchmal lockerte er ihre Fesseln oder lieà sie sogar durchs Haus gehen. Selbstverständlich nicht allein â er führte sie an einer Kettenhundeleine umher. Es war so erniedrigend. Er sagte ihr, dass sie anscheinend dächte, er würde freundlicher, aber sie solle diese dummen Ideen schnell vergessen.
Ja, aber was konnte sie tun, ohne auf derartige Ideen zu kommen? Sie war den ganzen Tag mutterseelenallein in der dunklen Kammer. Sie war -
Die Tür des Wandschranks wurde heftig aufgerissen. Sie knallte gegen die AuÃenwand.
Der Wolf schrie Lizzie ins Gesicht: »Du hast an mich gedacht, nicht wahr? Langsam wirst du von mir besessen , Elizabeth. Ich bin die ganze Zeit über in deinen Gedanken.«
Verdammt, in diesem Punkt hatte er Recht.
»Du bist sogar froh, wenn ich dir Gesellschaft leiste. Du vermisst mich, richtig?«
Lizzie hasste den Wolf so sehr, dass sie das Undenkbare dachte: Sie könnte ihn töten. Vielleicht würde dieser Tag kommen.
O Gott, das muss man sich mal vorstellen, dachte sie. Den Wolf eigenhändig umbringen. Das wäre die beste Flucht.
58
Am selben Abend traf sich der Wolf mit zwei Profi-Eishockeyspielern im Caesars in Atlantic City, New Jersey. Die Suite, in der er abgestiegen war, hatte überall Goldfolie an den Wänden, und die Fenster gingen zum Atlantik hinaus. Im Wohnbereich befand sich ein Whirlpool. Aus Respekt vor seinen Gästen, die groÃe Stars waren, trug er einen teuren, gestreiften Prada-Anzug.
Sein Kontaktmann war ein reicher Kabelfernseh-Betreiber, der in der Nero-Suite mit den Eishockeyspielern Alexei Dobushkin und Ilia Teptev im Schlepptau erschien. Beide spielten bei den Philadelphia Flyers. Sie waren erstklassige Verteidiger und galten als toughe Burschen, weil sie Hünen waren, die sich sehr schnell bewegten und eine Menge Schaden anrichten konnten. Der Wolf glaubte nicht, dass die Eishockeyspieler so knallhart waren, aber er war ein
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