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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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einen kurzen Augenblick glaubte Celia, der Schwarzgekleidete könnte der Mann mit dem Herz auf der Wange sein, doch seine Stimme hatte viel tiefer geklungen, und er war mindestens einen Kopf kleiner als der geheimnisvolle Fremde aus der Droschke. Allerdings trug auch dieser Mann einen mit Tuch verhängten Korb in der Hand.
    »Ihr müsst natürlich den Glauben zur Tat werden lassen«, fuhr Eva energisch fort und drehte sich auf dem Podest einmal im Kreis. »Wenn ihr an den Erlöser glaubt, könnt und werdet ihr nicht länger den Götzen dienen. Nicht dem Alkohol und nicht der Hurerei. Nicht der Prasserei, der Unzucht und nicht dem Verbrechen. Wenn ihr an Jesus, den Erlöser, glaubt, werdet ihr anders handeln und bessere Menschen sein, und das Himmelreich wird euch offenstehen. Allein durch euren Glauben. Weil euch dann das Heil sicher ist.«
    »Das verstehe ich nicht«, rief ein Mann mit Schlapphut, der direkt an der schmalen Stiege stand, die zum Podest hinaufführte. »Wie kann der Glaube irgendetwas verändern? Wenn ich glaube, dass es morgen regnet, bedeutet das noch lange nicht, dass es tatsächlich regnet. Wie kann der Glaube Berge versetzen? Das klingt zwar tröstlich, aber es will mir nicht in den Kopf.«
    »Dann benutze stattdessen dein Herz!«, erwiderte Eva, ging zu dem Mann und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Der Glaube ist keine Sache des Kopfes, sondern des Herzens. Du musst ihn fühlen, mein Bruder!«
    Celia hielt den Atem an. Sie hatte die Stimme des Mannes mit dem Schlapphut erkannt. Und sie sah weitere schwarz gekleidete Männer, die sich dem Podest genähert hatten und einen Ring darum bildeten.
    Der Mann mit dem Schlapphut schien nach Evas Hand greifen zu wollen, doch im nächsten Augenblick wich er zurück, nahm den Hut vom Kopf und zog sich den Schal aus dem Gesicht.
    Eva lächelte, als hätte sie einen Sieg errungen, und hielt ihre Fackel vor sein Gesicht. Doch im nächsten Moment fuhr sie erschrocken zurück. Sie starrte den Mann an, als hätte sie den Leibhaftigen vor sich stehen.
    »Hat’s dir die Stimme verschlagen?«, erscholl es aus der Schänke.
    »Willst du uns nicht sagen, was wir tun sollen?«, rief jemand auf der Straße.
    Eva hatte sichtlich Mühe, ihre Fassung wiederzufinden und den Blick von dem jungen Mann abzuwenden, der seinerseits wie verhext dastand. Schließlich schaute sie zum Himmel und rief: »Ich bin kein hochmütiger Theologe, ich will euch nicht befehlen, was ihr zu denken habt. Das überlasse ich den Besserwissern dort drüben.« Sie deutete zur Christ Church und setzte hinzu: »Glaubt an den Erlöser, und ihr werdet unweigerlich gerettet!«
    »Und den Glauben sollen wir zur Tat werden lassen?«, kam von irgendwoher eine schneidende Männerstimme.
    »Jawohl, den Glauben zur Tat werden lassen!«, bestätigte Eva und schaute sich suchend um. »So ist es! Nicht das Wort zählt, sondern die Tat.«
    »Dann genug der Worte! Schreitet zur Tat, Männer!« Der Befehl schien direkt aus dem Himmel zu kommen. Als Celia den Kopf hob, sah sie mehrere Schatten auf dem Dach der Schänke, und im nächsten Augenblick brach ringsum die Hölle los.
    Die Menge schrie auf, als mehrere Männer Banner und Fahnen entrollten und an langen Stäben in die Luft hielten. Auf einem dieser Banner waren ein Totenkopf und zwei gekreuzte Gebeine zu sehen, auf einem anderen erkannte Celia zwei Särge und darüber die Worte: »Blut und Donner«.
    »Die Skeletons!«, rief Adam neben ihr.
    »Wer?«, fragte Celia.
    »Die Skeleton Army!«, antwortete Adam. »Bezahlte Schläger und Rüpel, die nichts anderes als Gewalt und Chaos im Sinn haben.«
    »Wer bezahlt sie denn dafür?«, wunderte sich Celia.
    »Die Wirte und Bordellbesitzer!«, rief Adam aufgebracht. »Wer sonst?«
    Plötzlich flogen Lumpen und Stofffetzen vom Dach des Ten Bells und landeten mit seltsam klatschendem Geräusch auf den Teilnehmern des Fackelzugs. An den hellen Flecken auf den Kleidern konnte Celia erkennen, dass sie mit weißer Farbe oder Löschkalk getränkt waren. Bewegung kam in die lärmende Menge, doch die Heilsarmisten waren zwischen Kirche und Schänke wie eingezwängt. Und am Ende der Straße standen schwarz gekleidete Männer, die mit Knüppeln und langen Stäben dafür sorgten, dass niemand auf die Hauptstraße entkam.
    Direkt neben dem Podest, auf dem Eva noch immer wie vom Blitz getroffen verharrte, entstand plötzlich ein noch größerer Tumult. Die Schwarzgekleideten, die dort einen Ring gebildet hatten, waren

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