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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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regelrecht davor und konnte sich diese Furcht zugleich nicht erklären. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie so wenig über das George Inn wusste.
    Während ihre Mutter mit Eifer und Ausdauer von London, seinen prächtigen Bauten und dem atemberaubenden Trubel auf den Straßen und Plätzen berichtet hatte, war sie im Hinblick auf den Ort, an dem sie jahrelang gewohnt und gearbeitet hatte, immer sehr wortkarg geblieben. Celia glaubte alles über die Londoner Kirchen, die monumentalen Bahnhöfe, die großen Parks und die königlichen Paläste zu wissen, doch das George Inn erschien ihr wie ein Buch mit sieben Siegeln.
    Sie konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, wann ihre Mutter dort gearbeitet hatte. Irgendwann in den sechziger Jahren, denn im Jahr 1868 hatte sie Ned Brooks in Brightlingsea geheiratet. Celia hatte aus den wenigen Andeutungen der Mutter herausgehört, dass der Wirt des George Inn, ein Mann namens Rodney Webster, kein besonders netter Mensch gewesen war, doch warum es Mary Tremain, wie sie damals noch hieß, von London ausgerechnet nach Brightlingsea verschlagen hatte, darüber hatte die Mutter nie gesprochen. London war in ihrem Herzen geblieben. Southwark allerdings schien darin keinen Platz zu haben. Und das George Inn hatte sie anscheinend aus ihren Erinnerungen getilgt.
    »So, da wären wir«, sagte Adam und deutete auf einen schmalen Durchlass zwischen zwei Häusern, über dem an einem eisernen Bogen die verrosteten Lettern »The George« angebracht waren. Von der Straße aus war das eigentliche Gasthaus gar nicht zu sehen. Erst als Adam den Pferdewagen durch die Einfahrt in den Hof lenkte, begriff Celia, was er vorhin mit den Postkutschenstationen gemeint hatte. Das George Inn hatte einstmals als Verpflegungsstation und Unterkunft gedient, für Mensch und Tier. Das Anwesen war in U-Form um den Hof herumgebaut, wobei auf der linken Seite die Pferdeställe und Stellplätze untergebracht waren und auf der rechten Seite die Schänke und die Herberge für die Reisenden. Am Kopfende des Hofes befanden sich der Schweinestall, ein Hühnerstall und die Zimmer für das Gesinde. Während die ehemaligen Remisen und Wagenschuppen nicht mehr benutzt wurden und zusehends verfielen, waren die Schänke und das Gasthaus noch leidlich intakt. Celia fielen die offenen Galerien vor den Gästezimmern im vorderen Teil des Hauses auf, die vom Hof aus betrachtet tatsächlich an Theaterränge erinnerten. Diese mit Geländern versehenen Laufgänge waren über die Jahrhunderte an einigen Stellen verbogen oder abgesackt, wodurch die Galerien beinahe eine Wellenform hatten.
    Adam sprang vom Wagen und half Celia hinunter, die am liebsten auf dem Kutschbock sitzen geblieben wäre, aber nicht kindisch oder verstockt wirken wollte. Daher folgte sie Adam zu einer niedrigen Holztür im hinteren Gebäudeteil, über der ein Metallschild mit dem Bildnis des heiligen Georg angebracht war. Es zeigte den Märtyrer mit erhobenem blutigen Schwert und dem getöteten Drachen zu seinen Füßen.
    »Du kommst spät, Kumpel«, wurde Adam von einem jungen Mann begrüßt, der in diesem Moment aus der Tür trat, doch augenblicklich wie unter einem Peitschenschlag zusammenfuhr. »Ach du meine Güte!«, rief er und verzog sein Gesicht zu einer Leidensmiene. »Bist du unter einen Tramwagen geraten?«
    »Nein, zwischen die Skeletons«, antwortete Adam säuerlich und reichte dem anderen die Hand. »Sie haben uns angegriffen.«
    »Und du hast natürlich wieder deine Wange hingehalten«, erwiderte der Mann halb scherzhaft, während er gleichzeitig dem Heilsarmisten mitfühlend die Hand auf die Schulter legte. Er deutete auf Adams Zahnlücke und fügte grinsend hinzu: »Ich hoffe, du hast es ihnen wenigstens Zahn um Zahn heimgezahlt.«
    »Das Wort Gottes ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert«, antwortete Adam mit ernster Miene.
    »Aber offensichtlich eignet es sich nicht so gut für den schlichten Faustkampf«, entgegnete der andere lachend und wandte sich dann an Celia, die sich regelrecht hinter Adam versteckt hatte. »Und wer ist diese hübsche Miss, wenn ich fragen darf?«
    »Das ist Celia Brooks«, antwortete Adam, fasste Celia an der Schulter und schob sie sachte nach vorne. »Celia, das ist Rod Webster, der Wirt des George, ein alter Freund.«
    »Na, so alt nun auch wieder nicht«, widersprach der Angesprochene lachend und verneigte sich wie ein Schauspieler auf der Theaterbühne. »Allerdings kenne ich den guten Adam noch aus

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