Vor dem Fest
Karten drauf soll. Außer dem Haus der Heimat und den Seen natürlich. Vier Motive sollten es werden. Das dritte wurde ein Pferd vor der Stadtmauer, womit zwei Sehenswürdigkeiten mit einem Schlag erledigt waren. Beim vierten gingen uns die Ideen aus. Es wurde kurz erwogen, der Kirche eine Renaissance zu erlauben, doch die Mehrheit war dagegen. Und da hat der Fährmann vorgeschlagen, die Eierbox von Ditzsche als Postkarte zu drucken.
Großes Oje.
Der Ditzsche sei ein Einzelgänger, und Einzelgänger sind doch keine guten Werbebotschafter für Familienreisen, und der Ditzsche sei bei der Stasi gewesen, und die Stasi vermiest den Leuten die Lust an sozialen Aktivitäten. Und so weiter, der Ditzsche dit, der Ditzsche dat.
Der Fährmann hat dann aber gesagt: »Leute, 10 Eier: 2 Mark. Das ist angemessen, angemessener geht es nicht. Ihr kauft die doch alle. Heimlich, aber ihr tut’s.Und es ist ja auch nicht so, dass der Ditzsche drauf zu sehen wäre, sondern eben seine Eierbox. Die Eierbox hat keine Stasi-Vergangenheit. Die kennt hier jeder. Die zeigt: Wenn du falsche Entscheidungen triffst, wenn du deine Arbeit verlierst und verarmst und alle dich hassen, weil alle glauben, dass du ein Spitzel warst, unddu zu blöd bist, es wie die anderen abzustreiten, wenn dir also das Leben so richtig in den Hintern tritt, dass du aufs Gesicht fliegst und obendrauf gibt’s noch Diabetes, ja, und das alles muss dich nicht daran hindern, sehr gute Eier zu einem angemessenen Preis anzubieten.«
Da war es kurz still im Kreativkomitee.
Und als die Stille vorbei war, haben wir abgestimmt, aber es hat trotzdem nicht gereicht, drei zu drei. Also haben wir die Fotografin um ihre Meinung gebeten, das war Frau Kranz, weil wenn du malen kannst, kannst du auch fotografieren. Sie hat nicht lange gefackelt: »Ja, ne, das passt, die Box, das ist sogar irgendwie fast originell, ein bunter Moment bäuerlicher Idylle in dieser tristen scheiß Straße, das geht schon.«
War ein bisschen hart, aber so ist Frau Kranz. Seitdem gibt es wegen der Inflation alle paar Jahre eine neue Postkarte von der Eierbox von unserem Dietmar Dietz, genannt Ditzsche, dem zweimal Verwaisten, dem Einzelgänger, dem Briefträger, dem die Leute bis heute vorwerfen, er hätte in ihrer Post herumgeschnüffelt, dem Diabetiker, der keine passenden Hemden mehr hat, aber auch kein Geld oder keine Lust, sich neue zu kaufen, weil seinen Hühnern Hemden egal sind und jeder Tag sein letzter sein könnte. Ditzsche, der aber aufwacht und weitermacht, und zu seinem Begräbnis werden alle kommen, da wetten wir drauf, auch die Eierbox wird kommen, und die meisten werden echte Trauer tragen, und die Box wird im Haus der Heimat bei dem ganzen anderen Krempel aus der DDR landen, 10 Eier: 2 Euro, angemessener geht’s beim besten Willen nicht. Seit neuestem hat Ditzsche ein freundliches Plastikhuhn an die Box gehängt. Zum Schmuck.
Manchmal, wenn du zehn große uckermärkische Eier aus der Box nimmst und zwei Euro oder auch mal zwei zwanzig dalässt, hörst du im Innenhof die Hühner gackern. Kaufst du nachts, hörst du im Haus Musik. Heute ist das so. Heute Nacht spielt bei Ditzsche Musik, und hinter den Gardinen bewegen sich Schemen undwischen Sohlen über Dielen. Oder vielleicht bewegen sich bloß die Gardinen. Oder gar nichts bewegt sich.Die Musik ist Tango oder Salsa oder Merengue, so genau nehmen wir das hier nicht.
DIE FÄHE SCHNÜRT ENTLANG DES GEWÄSSERS. Sie schmeckt ein altes Menschenweibchen im Wasser, dem sie manchmal auch im alten Wald begegnet. Dies ist ein Menschtier, welches lange ruhig an einem Ort ausharren kann. Menschen verhalten sich selten so. Mit dem Aroma des Weibchens sind meistens feine andere vermengt, die Fähe schmeckt sie gern: Färberwaid und Umbra und Zinnober und Harz. Jetzt kommen hinzu: scharfe Süße vergorener Früchte, Kalium und Mangan von Tränen. Gut. Gefahr riecht nicht nach Tränen.
Die Fähe zieht weiter und stößt bald auf ein zweites Menschenweibchen, ein großes Exemplar. In der Nähe des Ortes, wo die Menschen ihre Toten einerden, trabt es um drei Gegenstände am Ufer und brummt leise, wütende Menschenlaute. Die Fähe ist neugierig, was gibt es dort? Das Weibchen schmeckt nach Karotten, die Gegenstände – drei Kuppeln – schmecken nach Zinn und Kupfer und nach einem dritten, das die Fähe lockt.
Das Menschenweibchen klingt, als wollte es balgen mit den Kuppeln, die Kuppeln tun nichts. Die Fähe wartet. Das Weibchen trollt sich
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