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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte, war Großvater gewesen.
    »Ich werde sie bitten, es herauszufinden«, sagte Wallander und stand auf. »Aber wenn ich zurückkomme, mußt du erklären, warum es so wichtig war, daß ich deshalb die Sitzung unterbrechen sollte. Wir haben es hier mit getöteten Menschen zu tun, nicht mit Übungen an der Polizeihochschule.«
    Linda nahm einen Glasteller, der auf dem Tisch stand, und warf damit nach ihm. Der Teller traf ihn an der Stirn und brachte ihm eine Platzwunde an der Augenbraue bei. Es begann sofort zu bluten. Das Blut tropfte auf die Mappe mit Harriet Bolsons Namen.
    »Das wollte ich nicht.«
    Er drückte Papierservietten gegen das Auge.
    »Ich ertrage es nicht, wenn du mich so reizt.«
    Er verließ den Raum. Linda hob die Glasscherben auf. Sie war so aufgewühlt, daß sie bebte. Er kochte vor Wut, das war ihr klar. Keiner von ihnen konnte Demütigungen ertragen. Aber sie bereute nichts.
    Es dauerte eine Viertelstunde, bis er zurückkam. Er hatte ein Pflaster über dem Auge und getrocknetes Blut auf der Wange. Linda war darauf vorbereitet, daß er sie anbrüllen würde. Aber er setzte sich nur wieder auf seinen Stuhl.
    »Bist du okay?« fragte sie.
    Er überhörte ihre Frage. »Ann-Britt Höglund hat Vanja Jorner angerufen, Birgitta Medbergs Tochter. Sie wurde rasend wegen der Frage und drohte damit, die Boulevardpresse anzurufen und sie darüber zu informieren, daß die blöde Polizei nicht ordentlich ihre Arbeit tut. Aber Ann-Britt ist es trotzdem gelungen, ihr die Auskunft abzuringen, daß Birgitta Medberg mit höchster Wahrscheinlichkeit nie eine Abtreibung hat machen lassen.«
    »Wie ich es mir gedacht habe«, murmelte Linda. »Und die andere? Die aus Tulsa?«
    »Ann-Britt telefoniert gerade mit den USA«, sagte er. »Wir sind uns nicht ganz einig, wie spät es da drüben ist. Aber damit es nicht zu lange dauert, ruft sie an, statt zu faxen.«
    Er befühlte das Pflaster. »Jetzt bist du dran.«
    Linda sprach langsam, um ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, aber auch, um nichts Wichtiges auszulassen. »Ich sehe fünf Frauen vor mir. Drei von ihnen sind tot, eine von ihnen ist verschwunden, und die letzte war verschwunden, ist aber wieder aufgetaucht. Plötzlich ahne ich einen Zusammenhang. Ihr habt die ganze Zeit geglaubt, daß Birgitta Medberg ermordet wurde, weil sie sich verirrt hatte. Sie hat nichts mit dem zu tun, was meines Erachtens zumindest teilweise erklärt, was hier geschieht. Sylvi Rasmussen wird ermordet. Aus den Unterlagen, die aus Kopenhagen gekommen sind, geht hervor, daß sie mehrfach abgetrieben hat. Nehmen wir an, daß die Antwort aus den USA besagt, auch Harriet Bolson habe eine oder mehrere Abtreibungen hinter sich. Das trifft auch für die vierte Frau zu, die jetzt verschwunden ist, Zebra. Vor ein, zwei Tagen erzählte sie mir, daß sie einmal abgetrieben habe. Vielleicht ist es das, was diese Frauen miteinander verbindet.«
    Sie verstummte und trank einen Schluck Wasser. Ihr Vater trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch und sah an die Wand. »Ich verstehe trotzdem nicht.«
    »Ich bin noch nicht fertig. Zebra erzählte nicht nur mir von ihrer Abtreibung. Anna Westin hatte dasselbe gehört wie ich, aber sie hat eigentümlich reagiert. Sie war auf eine Art und Weise empört, die ich nicht nachvollziehen konnte. Zebra auch nicht. Anna distanzierte sich, beinah im Zorn, von Frauen, die abtreiben. Sie stand auf und ging. Und als Anna erfuhr, daß Zebra verschwunden war, weinte sie, packte mich am Arm und schüttelte ihn. Aber es war, als ängstigte sie sich nicht Zebras wegen, sondern um ihrer selbst willen.«
    Linda verstummte. Ihr Vater befingerte seine verpflasterte Stirn. »Was meinst du damit, daß Anna sich hauptsächlich um ihrer selbst willen geängstigt habe?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du mußt versuchen, es zu erklären.«
    »Ich sage es, wie es ist. Ich bin sicher und zugleich nicht sicher, beides auf einmal.«
    »Wie kannst du das sein?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Er blickte wie abwesend an die Wand über ihrem Kopf. Linda wußte, daß sein Blick auf eine leere Fläche immer höchste Konzentration bedeutete. »Ich möchte, daß du es den anderen erzählst«, sagte er.
    »Das kann ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich werde nervös. Ich kann mich irren. Vielleicht hat die Frau aus Tulsa gar nicht abgetrieben.«
    »Ich gebe dir eine Stunde, um dich vorzubereiten«, sagte er und stand auf. »Ich sage den anderen Bescheid.«
    Er ging hinaus und schlug die Tür zu.

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