Vor dem Frost
leisten, wenn Archivbänder einfach so verschwinden?«
Er warf eine Gebrauchsanleitung für Tonbandgeräte, die er gerade in der Hand hielt, an die Wand, um den Schlußpunkt unter seinen Ausbruch zu setzen. Sie suchten weiter. Linda bekam schließlich den Eindruck, der gesamte Polizeibezirk Ystad sei mit der Suche nach dem Tonband beschäftigt. Doch es blieb verschwunden.
Linda sah ihren Vater an. Er wirkte müde, vielleicht resigniert. Aber sie wußte, daß das bald vorübergehen würde. »Darf ich etwas vorschlagen«, sagte sie.
Sie hatte bis zuletzt gezögert. Aber jetzt wagte sie es. »Ich glaube, ich kann die Stimme imitieren. Zwar ist es ein Mann, der spricht, aber ich kann es ja versuchen.«
Ann-Britt Höglund sah sie mißbilligend an. »Wieso glaubst du, daß du das könntest?«
Linda hätte ihr eine lange Antwort geben können. Wie sie durch Zufall in einem der ersten Monate an der Polizeihochschule bei einem Fest zusammen mit den anderen Kurskameradinnen einen der bekanntesten Fernsehmoderatoren imitiert hatte. Sie hatte sich nicht darauf vorbereitet, war aber so gut gewesen, daß sie allen imponiert hatte. Sie hatte es für Anfängerglück gehalten. Aber als sie später für sich selbst andere Stimmen zu imitieren versuchte, hatte es sich rasch gezeigt, daß sie über ein besonderes Talent verfügte und meistens richtig traf. Manchmal ging es völlig daneben. Es gab Stimmen, die sie einfach nicht imitieren konnte. Aber meistens gelang es ihr.
»Ich kann es versuchen«, sagte sie nur. »Wir haben ja nichts dabei zu verlieren.«
Stefan Lindman war dazugekommen. Er nickte ihr aufmunternd zu.
»Wo wir schon einmal hier sind«, sagte Wallander zögernd und zeigte auf Ture Magnusson. »Drehen Sie sich um. Sie sollen nicht sehen, nur hören. Wenn Sie die geringste Unsicherheit spüren, sollen Sie es sagen.«
Linda machte sich einen Plan. Sie wollte nicht direkt aufs Ziel losgehen, sondern zuerst einen Umweg nehmen.
»Wer weiß noch, was gesagt wurde?« fragte Stefan Lindman.
Martinsson hatte das beste Gedächtnis. Er wiederholte den Text. Linda wußte jetzt, was sie tun würde; es war eine Übung nicht nur für Ture Magnusson, sondern für alle im Raum Anwesenden.
Sie machte ihre Stimme tief und suchte nach dem richtigen Akzent.
Ture Magnusson schüttelte den Kopf. »Ich bin unsicher. Ich würde fast sagen, daß ich es erkenne. Aber nur fast.«
»Ich mach es gern noch einmal«, sagte Linda. »Es war noch nicht ganz richtig.«
Keiner hatte etwas einzuwenden. Immer noch blieb Linda am Rand des richtigen Tonfalls. Ture Magnusson schüttelte erneut den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich könnte nicht darauf schwören.«
»Ein letztes Mal noch«, sagte Linda.
Jetzt kam es darauf an. Sie holte tief Luft und sprach den Text noch einmal. Jetzt legte sie es darauf an, alles richtig zu machen.
Als sie verstummte, hatte Ture Magnusson sich schon umgedreht. »Ja«, sagte er. »So hörte er sich an. Das war er. So war seine Stimme.«
»Beim dritten Versuch«, sagte Ann-Britt Höglund. »Was ist das wert?«
Es gelang Linda nicht ganz, ihre Genugtuung zu verbergen. Ihr Vater, wie immer wachsam, merkte es sofort. »Warum erkennt er sie erst beim dritten Mal?« fragte er.
»Weil ich die beiden ersten Male anders klang«, antwortete Linda. »Erst beim dritten Mal habe ich die Stimme auf dem Band imitiert.«
»Ich habe keinen Unterschied gehört«, sagte Ann-Britt Höglund skeptisch.
»Alles in einer Stimme, die man imitiert, muß richtig sein«, sagte Linda.
»Alle Achtung«, sagte Kurt Wallander. »Stimmt das?«
»Es stimmt.«
Er durchbohrte Ture Magnusson mit seinem Blick. »Und Sie sind Ihrer Sache sicher?«
»Ich glaube, ja.«
»Dann danken wir Ihnen.«
Linda war die einzige, die Ture Magnusson die Hand gab. Sie begleitete ihn hinaus. »Das haben Sie gut gemacht«, sagte sie. »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind.«
»Wie kann man eine Stimme so genau nachmachen wie Sie?« fragte er. »Ich konnte ihn fast wieder vor mir sehen.«
Ture Magnusson ging.
»Anna«, sagte Kurt Wallander. »Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, sie zu holen.«
Linda klingelte an Annas Wohnungstür. Keiner machte auf. Anna war nicht zu Hause. Linda blieb regungslos im Treppenhaus stehen. Plötzlich begann sie zu verstehen, warum Anna beschlossen hatte, wieder zu verschwinden.
Als er im Morgengrauen erwachte, erinnerte er sich an einen Traum, den er in der Nacht gehabt hatte. Es hatte mit einem Erinnerungsbild
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