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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aus der Zeit angefangen, als er noch Sandalenmacher war. Er war mit Henrietta und Anna nach Malmö gefahren. Während Henrietta beim Zahnarzt war, hatte er Anna mit hinunter zum Hafen genommen. Dort hatten sie einen Gruß von Anna auf einen Zettel geschrieben, ihn in eine Flasche gesteckt und die Flasche ins Meer geworfen. Jetzt hatte er geträumt, daß die Flaschenpost zurückgekommen war. Im Traum war er zu dem See an dem Campingplatz zurückgekehrt, wo er in seinem Wohnwagen gelebt hatte. Er hatte die Flasche aus dem See gefischt und den Zettel gelesen, den er vor vielen Jahren mit Anna geschrieben hatte. Aber er hatte nicht lesen können, was auf dem Zettel stand. Die Buchstaben und die Wörter waren ihm fremd.
    Dann hatte der Traum plötzlich den Schauplatz gewechselt. Jetzt saß er am Ufer eines anderen Sees und sah durch ein Fernglas brennende Schwäne. Als die Schwäne wie zischende, schwarzgekohlte Bälle im Wasser versunken waren, hatte er im Fernglas zwei Menschen verfolgt. Das hatte ihn verwundert, weil es doch Torgeir war, der Annas Freundin Linda und ihren Vater am Strand gesehen hatte. Im Traum hatte er mit Torgeir die Identität getauscht.
    Der Traum war sehr deutlich gewesen. Zwischen ihm und Torgeir gab es keinen Abstand mehr. Wenn er wollte, konnte er Torgeirs Identität annehmen, ohne daß dieser es bemerkte.
    Es war Torgeir, der Anna am späten Nachmittag bei der verbarrikadierten Pizzeria in Sandskogen abholen sollte. Zuerst hatte Erik Westin sie selbst holen wollen, um sicher zu sein, daß sie wirklich mitkäme. Aber schließlich war er doch zu der Einschätzung gekommen, daß sie so von ihm abhängig war, daß sie keinen Widerstand leisten würde. Sie konnte nicht wissen, was er beschlossen hatte. Weil sie auch nicht wußte, was mit Harriet Bolson geschehen war – in diesem Punkt hatte er Torgeir strenges Schweigen auferlegt –, hatte sie keinen Grund, sich plötzlich zur Flucht zu entschließen. Was er fürchtete, war ihre Intuition. Er hatte versucht, sie an ihrem Verhalten abzulesen, und war zu dem Ergebnis gelangt, daß sie fast ebenso stark war wie seine eigene. Anna ist meine Tochter, dachte er. Sie ist wachsam, aufmerksam, stets empfänglich für die Botschaften, die ihre Intuition ihr sendet.
    Torgeir sollte sie in dem blauen Saab abholen, den sie auf dem Langzeitparkplatz am Flughafen Sturup gestohlen hatten. Er hatte einige Tage zuvor zehn Kennzeichen notiert und bei der Kfz-Registrierstelle angerufen, um die Namen der Besitzer zu erfahren. Dann hatte er bei diesen angerufen und sich -sozusagen als ironische Verbeugung gegenüber seiner eigenen Vergangenheit – als Reeder ausgegeben, der auf der Jagd nach schwedischem Kapital war, um es in einem neuen schwimmenden Charterhotel zu investieren. Er hatte die beiden Wagen ausgewählt, deren Besitzer sich auf den längsten Dienstreisen befanden, sowie einen dritten, der einem pensionierten Grubendirektor gehörte, der gerade eine dreiwöchige Urlaubsreise nach Thailand angetreten hatte.
    Erik Westin gab Torgeir detaillierte Anweisungen. Auch wenn es nicht wahrscheinlich war, konnte Anna Angst bekommen haben, als Zebra verschwand. Es bestand das Risiko, daß sie mit Linda sprechen würde, die Eriks Meinung nach ihre engste Vertraute war. Obwohl er sie zuerst gewarnt und ihr dann verboten hatte, mit anderen außer ihm eingehendere Gespräche zu führen. Es könnte sie in die Irre leiten, hatte er wieder und wieder betont, jetzt, da sie endlich auf den rechten Weg gefunden hatte. Auch wenn er derjenige war, der so viele Jahre fort gewesen war, so war doch sie der verlorene Sohn oder die verlorene Tochter, von der die Bibel erzählte.
Sie
war nach Hause gekommen, nicht er. Was jetzt geschah, war notwendig, sie hatte einen Vater, der die Menschen zur Rechenschaft ziehen würde, all die, die sich von Gott abgewandt und Kathedralen errichtet hatten, in denen sie voller Hochmut sich selbst huldigten, anstatt in äußerster Demut Gott zu huldigen. Er hatte den verhexten Reflex in ihren Augen gesehen und wußte, daß es ihm gelingen würde, wenn er nur genügend Zeit hätte, alle Zweifel auszulöschen, die sich noch in ihrem Gehirn verbargen. Das Problem war nur, daß er die Zeit, die sie brauchten, nicht hatte. Es war sein Fehler, das mußte er sich eingestehen. Er hätte seine Tochter sehr viel früher aufsuchen sollen, sich ihr früher zeigen sollen als dort auf der Straße in Malmö. Aber er hatte sich um all die anderen kümmern müssen, um

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